Nadja Bernhard kam in einer kanadischen Industriestadt zur Welt und wuchs in der ländlichen Idylle der Südsteiermark auf; und landete schon bald mitten im Zentrum des Weltgeschehens. Dass sie als ZIB1-Moderatorin auch zum Gesicht einer österreichischen Medieninstitution wurde – daran muss sie sich erst noch gewöhnen. 

Wer Unterhaltung, Information oder auch kulturelle Erbauung sucht, muss längst nicht mehr auf die Zufälligkeiten des Abendprogramms warten, das Internet bietet mittlerweile alles zu jeder Zeit. Warum also versammeln manche Sendungen trotzdem eine gute Million Zuseher vor den Bildschirmen? Es sind die Gesichter, die diese Sendungen präsentieren, haben Medienforscher herausgefunden. Die Moderatoren schaffen eine Atmosphäre der Vertrautheit, werden zu gewohnten Begleitern im Tagesablauf, ihretwegen schauen die Leute auf die Uhr, wenn es wieder einmal auf halb acht zugeht. Es ist also eine ziemliche Last, die auf den Schultern von Nadja Bernhard lastet. Seit 2012 präsentiert die Blondine mit den durchdringend blauen Augen eine der quotenstärksten und zugleich traditionsreichsten Sendungen des ORF, nämlich die Zeit im Bild, die längst auch schon offiziell unter dem Kürzel ZIB läuft. Genauer gesagt ist es die ZIB1, die täglich von rund 1,1 Millionen Zusehern verfolgt wird, auch jetzt noch, wo sie nur mehr auf ORF2 ausgestrahlt wird und im traditionell stärkeren Kanal ORF1 harte Konkurrenz in Form von Sitcoms läuft.

Im ZIB1-Studio musste Nadja Bernhard schnell lernen, „dass Moderieren eine Art Schauspiel ist. Da kommt es drauf an, welchen Gesichtsausdruck man hat, wie die Haare fallen…“

Wie Nadja Bernhard in diese exponierte Situation kam, das ist ihr selbst nicht so ganz klar. „Ich bin da hineingekippt“, sagt sie und meint damit die ZIB-Moderation ebenso wie das Fernsehen überhaupt. Schon der erste Kontakt mit dem ORF verlief ziemlich untypisch. Sie war noch Studentin, hatte in Wien Publizistik und Kunstgeschichte belegt und wollte eine Zeitlang in Italien leben. Auf der Suche nach einem Job schrieb sie an den Leiter des ORF-Büros in Rom, Andreas Pfeifer. Der engagierte sie prompt als Producerin, was in einem Korrespondenten-Team im Wesentlichen bedeutet, Termine zu organisieren, Drehgenehmigungen einzuholen und Kameraleute zu koordinieren. Die Arbeit brachte ihr aber auch viele Kontakte mit Mitarbeitern im Umfeld von italienischen Politikern und mit Kollegen von italienischen Medien, sodass es nur eine Frage der Zeit war, bis Nadja Bernhard auch selber Beiträge gestaltete – der Sprung zur Redakteurin war geschafft. Die nötigen Italienischkenntnisse verschaffte sie sich erst vor Ort: „Als ich nach Rom kam, konnte ich gerade einmal einen Cappuccino bestellen. Aber ich hab, glaub ich, ein gutes Talent, mich zurecht zu finden.“ Und ein Gespür für Sprachen.
Immerhin ist sie bilingual aufgewachsen. Als Tochter von steirischen Auswanderern kam Nadja Bernhard in Windsor in Kanada zur Welt. Das ist eine Stadt mit rund 200.000 Einwohnern, direkt an der Grenze zu den USA, Nachbarin der Autometropole Detroit. Windsor lebt ebenfalls vorwiegend von der Automobilindustrie und wurde 2002 durch den Film „Bowling for Colombine“ des Kino-Rebellen Michael Moore berühmt, der am Beispiel des friedlichen kanadischen Städtchens die Kultur der Gewalt und Waffen-Verherrlichung in den USA anprangert. Bis heute dient Windsor als Metapher und unerreichtes Vorbild, wenn in den USA über Schusswaffen diskutiert wird. Friedlich und ruhig war es auch schon, als die 1975 geborene Nadja dort die Primary School besuchte. Papa arbeitete bei Chrysler, die Familie bewohnte eine hübsche Wohnung – aber darüber hinaus besteht die Erinnerung an den südlichsten Zipfel Kanadas nur aus Häusern mit adretten Vorgärten, breiten Straßen, großen Autos und stets freundlichen Menschen. „Die Kanadier sind wahrscheinlich das netteste Volk der Welt, offen, geradlinig, entgegenkommend.“

Obwohl beide Eltern Österreicher sind, wurde auch im Elternhaus fast nur Englisch gesprochen. Vor allem der Vater war mit ganzem Herzen Auswanderer und wollte sich und seine Familie möglichst gründlich integrieren. Die Mutter dagegen hing weiter an der alten Heimat, steckte ihr Mädel immer wieder ins Dirndl – ihr Deutsch beizubringen, gelang hingegen nicht. Immerhin reichte der gelegentliche akustische Kontakt mit der Sprache der Eltern, dass Nadja nur ein paar Monate der Akklimatisation benötigte, als sie mit acht Jahren in die Südsteiermark übersiedelte. Das Heimweh der Mutter hatte nämlich die Oberhand behalten, die Familie kehrte zurück, die Tochter rückte in eine österreichische Volksschule ein, kam schließlich aufs Gymnasium in Leibnitz. Gefallen hat es ihr lange Zeit nicht: „Ich nahm es meiner Mutter übel, ich hätte nicht zurück gewollt, Kanada kam mir viel cooler vor, da gab es mehr Fernsehkanäle, und ein Burgerlokal um die Ecke.“ Eigentlich hätte es nur ein kurzer Aufenthalt in Österreich werden sollen, tatsächlich aber dauerte es 25 Jahre, bis sie wieder für längere Zeit auf der anderen Seite des Atlantiks Quartier nehmen konnte: Von Juli 2008 bis Juli 2010 berichtete Nadja Bernhard als ORF-Korrespondentin aus Washington. Dazwischen lagen Schule und Studium, Arbeit in Rom, im Landesstudio Graz und in Wien. Allerdings empfingen sie auch in Washington vom ersten Tag an spannende Zeiten. Die Wahl von Barack Obama zum Präsidenten im November 2008 war eines der ersten großen Ereignisse, die Nadja auf Trab hielten. Im Jänner 2010 flog sie nach Haiti, um über das verheerende Erdbeben zu berichten. „Davon sind mir viele grauenvolle Bilder in Erinnerung, in Port-au-Prince lagen die Toten einfach so auf der Straße. Noch ärger die Verwundeten, denen man nur notdürftig helfen konnte.“ Nach ihrer Rückkehr erhielt sie vom ORF psychologische Supervision, um die Erlebnisse mental aufzuarbeiten. Was blieb, ist aber neben der Erschütterung auch Zufriedenheit, dass sie die österreichische Öffentlichkeit mit ihren Bildern aufrütteln konnte: „Ich weiß noch, dass mir dieser Gedanke immer weitergeholfen hat, wenn ich in dem Chaos und Elend vor die Kamera treten musste.“ Washington gilt unter ORF-Korrespondenten als Krönung unter den Auslands-Büros, allenfalls noch Brüssel kann in der Bedeutung mithalten. Als Nadja Bernhard daher 2010 nach Wien zurückkehrte, hatte sie den Ruf einer erfahrenen, stressresistenten, kameraerprobten Journalistin, die sich für eine Vielzahl von Aufgaben empfahl. Ebenfalls im Übersiedlungsgepäck: Die Hündin Symi, Angehörige der hierzulande eher exotischen Rasse „Catahoula Leopard Dog“, die sich als treue Gefährtin entpuppte, mehrere Übersiedlungen mitmachte und sogar den aktuellen Lebensgefährten ihrer Herrin akzeptiert, den Profil-Herausgeber Christian Rainer. Die beiden Journalisten lernten einander im Café Engländer kennen, einem häufig von Medienleuten frequentierten Wiener Etablissement in der Postgasse. Ein bisschen kannte sie ihn schon vorher, aus seinen gelegentlichen Auftritten in der TV-Pressestunde, die sie als Korrespondentin in Rom regelmäßig sonntagvormittags schaute. Als sie dann leibhaftig auf ihn traf, war das wenige Wochen, bevor die TV-Reporterin als neue ZIB1 Moderatorin auserkoren wurde – was sich prompt zu einem Problem auswuchs, denn Christian Rainer stand immer schon im Blick der Öffentlichkeit, zum einen wegen seiner Funktion an der Spitze des inzwischen einzigen politischen Nachrichtenmagazins des Landes, zum anderen wegen seines exzentrischen Lebensstils. Nadja Bernhard wurde also gleichsam doppelt ins Scheinwerferlicht katapultiert. „Das war am Anfang sehr schwierig für mich. Inzwischen habe ich das ganz gut im Griff.“ Auch die Tatsache, dass eine Partnerschaft mit Christian Rainer ihre eigenen Regeln hat, zu denen ein hohes Maß an Unabhängigkeit auf beiden Seiten gehört. „Living apart together“, nennt sie den Modus des Zusammenseins. Sie lebt in ihrer eigenen Wohnung, die jedoch nur einen Steinwurf von der ihres Gefährten entfernt in der Wiener Innenstadt liegt. Dass dieses Domizil „eher spärlich eingerichtet“ ist, liegt an ihrer nomadischen Vergangenheit. „Ich hatte bisher keine Gelegenheit, Hausrat anzusammeln, das bisschen, das ich hatte, musste ich in Rom zurücklassen.“ Immerhin, da steht eine Chaiselongue von Le Corbusier, ein Esstisch von Eero Saarinen, doch die Einzelstücke bilden kein Ensemble, noch fehlt der Wohnung die eigenständige Persönlichkeit – „Christian hat gemeint, es sieht aus, als wäre ich nur auf der Durchreise“. Die Küche wird kaum benutzt, „obwohl ich gern koche“, aber im Alltag lässt der Rhythmus kaum sinnvolles Entfalten am Herd zu: „Nach der ZIB bin ich frühestens um halb Neun zu Hause, da stellt man sich dann nicht mehr hin und beginnt, groß aufzukochen.“ Wichtigstes Utensil ist die Espressomaschine, unentbehrlich fürs Frühstück, bei dem sich die italienischen und nicht die amerikanischen Gewohnheiten durchgesetzt haben – ein Kaffee und ein Croissant, pardon, Cornetto reichen, um die Journalistin für den Arbeitstag in Schwung zu bringen.
Der beginnt formal um 13:30 Uhr, gleich nach Ende der Mittags-ZIB. Da trifft sich das Team zu einer ersten Besprechung, legt die Themen des Tages fest, bereitet sich auf die Hauptsitzung um 14:30 Uhr vor, wo alle Ressorts vertreten sind und die erste Sendeliste angelegt wird. Tatsächlich ist Nadja Bernhard schon viele Stunden davor mit den Gedanken beim Weltgeschehen. „Ich habe es noch nicht geschafft, den Vormittag als Freizeit zu begreifen, so wie ein Mensch, dessen Job um acht Uhr beginnt, eben ab vier oder fünf Uhr frei hat. Ich lese schon morgens zum Frühstück mehrere Zeitungen, da springen in der Regel bereits die Themen heraus, die uns am Abend beschäftigen werden.“ An solchen Themen ist derzeit kein Mangel, wir leben gerade in interessanten Zeiten. „Ich habe auch schon Phasen erlebt, wo wir lange nachdenken mussten, welche Stories wir denn bringen könnten. Seit Monaten haben wir eher das Problem, wie wir die vielen Krisen alle unterbringen – der Islamische Staat, die Ost-Ukraine, Libyen, Jemen, Griechenland, die Türkei.“

„Ich habe es noch nicht geschafft, den Vormittag als Freizeit zu begreifen,
so wie ein Mensch, dessen Job um acht Uhr beginnt,
eben ab vier oder fünf Uhr frei hat.“
Nadja Bernhard

Nach der Sitzung machen sich die Redakteure über ihre Beiträge her, Nadja Bernhard liest sich inzwischen in die Themen ein, um die Texte für die Anmoderation schreiben zu können. Wie sie sich mit ihrem Moderatoren-Partner Rainer Hazivar die Beiträge aufteilt, das bleibt den beiden überlassen, „meist nehme ich die Außenpolitik und er die Innenpolitik, das entspricht unserer Herkunft, Rainer hat ja viele Jahre lang innenpolitische Berichterstattung gemacht, ich war Korrespondentin im Ausland.“ Heute muss sie ihrerseits die Korrespondentin vom Studio aus befragen. Diese Live-Gespräche erfordern gute Vorbereitung: „Wir müssen das klar absprechen, welche Fragen ich stelle und wie ausführlich oder knapp die Antworten sein sollen, weil wir bei der ZIB1 ein sehr enges Zeitkorsett haben. Wir können fast nie ein offenes Gespräch führen, wie zum Beispiel in der ZIB2, sondern müssen darauf achten, dass der Beitrag die vorgesehenen ein oder zwei Minuten nicht überschreitet.“ Das strenge Zeitregime hat natürlich einen simplen Grund: Die Werbeminuten zwischen dem Nachrichtenteil und dem Wetter sind sehr begehrt und bringen viel Geld – deshalb darf die ZIB1 im Normalfall nicht länger als 17 Minuten dauern. Schlag 19:47 Uhr muss Schluss sein mit Politik, Wirtschaft und Kultur, damit die Zuseher noch ein bisschen was über Haarshampoos, zuckerfreie Softdrinks oder hochaktive WC-Reiniger erfahren können, ehe ihnen Christa Kummer ein Atlantisches Tiefdruckgebiet ankündigt.

Bevor Nadja Bernhard ins Studio darf, was etwa um 19:20 Uhr der Fall ist, muss sie noch in die Maske. TV-Kameras und Scheinwerfer sind gnadenlos und machen selbst kleinste Unebenheiten sichtbar, die im normalen Alltag niemandem auffallen würden. Aber die Zuschauer nehmen es übel, wenn ihre Nachrichten-Lieblinge Schweißperlen auf der Stirn zeigen oder gar dunkle Flecken auf der Wange. „Ich musste lernen, dass Moderieren eine Art Schauspiel ist“, bekennt die ZIB-Lady, „da muss der Gesichtsausdruck zur kommenden Meldung passen, die Leute schauen drauf, wie die Haare fallen, man kriegt Kommentare zum Kleid.“  Und wie schlimm ist die Sorge, bei den Zusehern anzuecken? „Wir  sind vier Moderatoren, da wird zwangsläufig nicht jede oder jeder von uns bei allen gleich gut ankommen. Ecken und Kanten dürfen durchaus sein.“ Trotzdem gibt es da eine Marotte, die ein erhöhtes Kontrollbedürfnis erahnen lässt: Sie schaut sich fast jede Sendung gleich anschließend an. „Jeder Coach sagt einem, das soll man auf keinen Fall tun, weil man so unmittelbar danach nichts Sinnvolles mitnehmen kann, aber ich halte es nicht aus, ich will immer sofort wissen, welche Fehler ich gemacht habe.“ Ein bisschen kokette Bescheidenheit schwingt da mit, denn tatsächlich dient die regelmäßige Nachschau keineswegs nur der nachträglichen Versicherung, ob die Frisur richtig saß, sondern auch der kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Sendungsformat. Nadja Bernhard und ihre Kollegen sind sich durchaus bewusst, dass die Sendung in Zeiten, wo die gesamte Medienlandschaft in Umbruch gerät, immer wieder ihre Positionierung neu überdenken muss. Zum Beispiel hat das Fernsehen insgesamt weitgehend die Funktion verloren, zentrale Quelle für authentische Information zu sein. „Wir wenden uns an ein Publikum, das um 19:30 Uhr schon weiß, was passiert ist. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Zeit im Bild ein Hochamt war, bei dem die Nation das erfuhr, was wichtig war. Ich glaube trotzdem, dass es weiter solche Fixpunkte geben wird müssen, die eine Gemeinsamkeit herstellen. Aber die Rolle von TV-Information ist eine andere als früher, und wir müssen da mitziehen.“
Die persönliche Färbung durch unterschiedliche Menschentypen an den Moderationstischen macht ohne Zweifel einen Teil der Unverwechselbarkeit eines Info-Formats aus, außerdem verlangen die Zuseher immer stärker Orientierung und Miterleben anstelle von trockener Information: „Emotionen in den TV-Nachrichten waren früher völlig tabu, das ändert sich.“ Was sich nicht ändert, das ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Leute vor den Fernsehern ihre Bildschirmlieblinge in Besitz nehmen. Klar, auch in früheren Zeiten wurden TV-Sprecherinnen bedrängt, erhielten Briefe mit Heiratsanträgen oder mussten sich mit aufdringlichen Fans herumschlagen, die vor dem ORF-Zentrum auf sie warteten. Doch in Zeiten der Social Media hat sich das Problem verschärft. Facebook-Seiten und Twitter-Nachrichten erschaffen die Illusion von tatsächlich authentischen Kontakten – emotional überschießende Verehrer verlieren da leicht das Gefühl für die nötige Distanz.
Nadja Bernhards schlimmstes Erlebnis mit ungewollter Öffentlichkeit spielte sich in der realen Welt ab – es gehört auch bei ihr zu den regelmäßigen Übungen, üble Poster aus der Facebook- Gemeinde zu entfernen oder anzügliche Tweets zu ignorieren. Die Grenze zwischen skurrilen und gefährlichen Zudringlichkeiten verläuft auf einem schmalen Grad: „Ich hatte einen Stalker, der mir jeden Tag pünktlich um 12 Uhr Mittag ,Mahlzeit‘ gepostet hat. Wir haben alle immer schon drauf gewartet. Das war absurd, aber nach einer Weile auch beängstigend, ich bin froh, dass das aufgehört hat.“