Was vor fünfzig Jahren mit dem Einkleiden ihrer Barbiepuppe begann, gipfelte letztendlich in ihrem Job als Chefredakteurin der deutschen Ausgabe des bedeutendsten und einflussreichsten Modemagazins der Welt.

Auf die erste Frage, was denn eigentlich an VOGUE so speziell sei, antwortet Christiane Arp mit einer Gegenfrage: „Wenn ich Sie frage: Nennen Sie mir eine weltweite Zeitschriftenmarke? Sie kämen auf VOGUE.“ Die Chefredakteurin der deutschen Ausgabe des Magazins – groß, schlank, Modelfigur, ihre weißblonden Haare streng am Hinterkopf gebunden – ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Und doch will sie den Menschen nicht vorschreiben, was sie anziehen sollen. Gerade in Deutschland, einem Land, wo den Menschen der Ruf des Modemuffels anhängt: „Wir sind über Mode als Diktat hinweg. Wir wollen zum Träumen anregen. Für uns ist Mode Faszination und Inspiration. Mode entführt, Mode ist Emotion, sie soll Leidenschaft signalisieren – das ist unser Anspruch!“ Entsprechend gehe es auch nicht darum, dass die Leserin mit dem Heft in der Hand in eine Boutique geht, um sich exakt diesen oder jenen Look nachzukaufen. In der Realität dürfte das wohl oft auch an den Finanzen scheitern: Wer kann sich schon eine Daunenjacke von Vivienne Westwood um 3000 Euro leisten? Oder ein Designerkleid um 8000 Euro? „Uns geht es darum, anzuregen, sich modisch auszuprobieren!“ Dennoch, VOGUE ist sicher keine Zeitschrift für jede Frau. „Wir haben einen großen Fankreis, Menschen, die uns kaufen, weil wir sie inspirieren. Nicht jeder wird sich alles leisten können – ich selbst im Übrigen auch nicht“, sagt Christiane Arp. „Aber manchmal ist es doch auch schön, von einem Kleid, das man sich nicht oder noch nicht leisten kann, einfach nur zu träumen – als Lebensgefühl.“ Und so lässt sich auch die typische Leserin der VOGUE nicht so einfach definieren: Die Vierzigjährige, meist mit Abitur und der oberen Einkommensschicht zugehörend, sei nur ein Teil der statistischen Wahrheit, meint Christiane Arp. Wie sie aus Leserzuschriften weiß, findet sich die vierzehnjährige Modebegeisterte ebenso unter den Lesern, wie die fünfundachtzigjährige stilbewusste Großmutter.

Werdegang

Bevor sie im Jahr 2003 Chefredakteurin der deutschen VOGUE wurde, hat Christiane Arp in Hamburg eine Ausbildung als Modedesignerin abgeschlossen und anschließend für verschiedene Zeitschriften wie Brigitte, Amica oder den Stern journalistisch gearbeitet. VOGUE ist natürlich der Höhepunkt ihrer Karriere, das Magazin ist in Sachen Mode international bestimmend. „Before it’s in fashion, it’s in VOGUE!, ist unser Motto“, sagt Christiane Arp. Und dank dieser Reputation hat VOGUE auch die besten Kontakte in der Branche: Zu den Models, Designern oder Fotografen. Letztere würden mitunter sogar kostenlos für VOGUE arbeiten, damit sie sich rühmen können, für die Mode-Bibel fotografiert zu haben. Was das bedeutet? „Große Designer machen sich gern rar. Und wenn der Chefdesigner einer großen Luxusmarke nur ein In­terview im Jahr weltweit gibt, dann spricht er mit VOGUE. Das wirkt sich natürlich auch auf die Qualität unseres Inhalts aus. Eines unserer Lieblingswörter ist Exklusivität – das gilt auch für unsere Themen“, so Christiane Arp stolz.

International

Die in 22 Ländern erscheinenden unterschiedlichen Ausgaben der VOGUE – von Frankreich über Italien, Großbritannien, Russland bis China – arbeiten redaktionell völlig unabhängig voneinander und haben allesamt Chefredakteurinnen, mit zwei Ausnahmen: Die italienische und die thailändische VOGUE werden von Männern geleitet. „Wir treffen uns sporadisch, auf den Fashion Weeks sogar sehr regelmäßig. Wir kennen einander natürlich, aber dennoch weiß ich nicht, was die Kolleginnen in Amerika, England, Russland oder China redaktionell planen – ebensowenig wie die wissen, was wir hier gerade in München machen!“ Denn die Produktionsorte spielen auch eine wichtige Rolle für die Ausrichtung von VOGUE im jeweiligen Land: „Paris ist die Modestadt, das spiegelt sich in jeder Seite wieder. Das britische Heft dreht sich häufig um Gesellschaftsthemen, die eine wichtige Rolle in London spie­len. In der deutschen VOGUE sind neben der Mode auch Kunst, Kultur, Reise und Kulinarik wichtige Elemente.“

„VOGUE ist keine Zeitschrift für jede Frau. Wir haben einen großen Fankreis –
Menschen, die uns kaufen, weil wir sie inspirieren –
nicht jede wird sich alles leisten können
– ich auch nicht!“
Christiane Arp

Auch bezüglich der Themen gilt redaktionelle Freiheit: „Ganz einfach: Was wir mögen, kommt ins Heft, und das, was wir nicht mögen, kommt nicht hinein!“ Selbst wenn das vielleicht dem einen oder anderen Modelabel, das in VOGUE Anzeigen schaltet, und sich redaktionell nicht wiederfindet, missfallen mag.

Wer bestimmt, was Trend ist?

Trends zu etablieren ist heute schwieriger als noch vor zehn Jahren, denn alles geht schneller. Das klingt nach Klischee, aber Christiane Arp bestätigt: „Wir haben gerade die ganzen Modeschauen gesehen – Berlin, New York, London, Mailand, Paris… Fast in jedem Monat gibt es irgendwo auf der Welt eine Modeschau. Trends sind so kurzlebig. Damals saßen wir Redakteure gemeinsam mit den Einkäufern in den Modeschauen und sichteten die kommenden Kollektionen. Danach fuhr man zurück in die Redaktion und wählte die zentralen Looks aus, die dann auf die kommenden Ausgaben aufgeteilt wurden. So wurde nach und nach unsere Schatzkiste gelüftet. Heute sitzt jeder mit einem Smartphone in einer Show, alle fotografieren und die Bilder erscheinen in Echtzeit online. Daraus brauchen wir keinen Trend mehr abzuleiten. Denn der ist in dem Moment schon auf der Straße“, erzählt Christiane Arp. Auch auf der Internetseite von VOGUE werden Zusammenschnitte der Fashion Shows abgebildet.

„Die Aufgabe unserer Print­ausgabe hat sich verändert. Wir verpacken die Mode heute eben anders, das bedeutet: Geschichten erzählen; wir müssen Mode viel mehr emotionalisieren.“ Hinzu kommt, dass Street-Style-Mode heute von vielen Faktoren beeinflusst wird – von Filmen, Prominenten bis hin zu Fußballstars. Für Christiane Arp spielen daher kurzlebige Modetrends eine untergeordnete Rolle. „Man kann bei den Schauen einen Trend ablesen, sagen wir die Modefarbe senfgelb. Doch dieser Trend ist für genau jetzt und nicht für in drei Monaten relevant. Der ist in diesem Moment bereits erzählt und für uns nicht mehr spannend.“ Heutzutage behandelt jedes Newsportal, jede Zeitung die Fashion Shows als großen Event. „Die Schauen sind heute so wichtig wie die Filmfestspiele von Cannes, die Emmys oder ein MTV Music Award. Wir von der VOGUE sind nicht wegen der Show vor Ort, sondern wegen der Mode. Und dazu fällt uns noch etwas anderes ein, als einfach nur senfgelb!“

Mode und Nachhaltigkeit: ein Widerspruch?

Nachhaltigkeit ist das Schlagwort in Zeiten, wo die ökologische Apokalypse in den Medien fast täglich beschworen wird. Und eigentlich passt da so etwas Schnelllebiges wie Mode überhaupt nicht dazu. Das stimme nur zum Teil, meint Christiane Arp und führt Viktor & Rolf als Beispiel an: Die haben eine ganze Haute-Couture-Kollektion aus alten Kollektionen neu gefertigt und damit nachhaltige Unikate geschaffen. „Wir arbeiten mit vielen Designern, die sich diese Gedanken machen. Das rechtfertigt auch den Preis. Schauen sie sich Gucci an. Alessandro Michele war derjenige, der uns wieder das Gefühl gegeben hat: Wenn du diese rote Bluse auf dem Laufsteg so ähnlich schon besitzt, dann kannst du sie zu diesem Outfit auch anziehen.“ Kollektionen seien heute zeitloser, entscheidend sei nur gutes oder schlechtes Design. Und so hat die VOGUE auch nichts gegen Vintage-Produkte: „Ein gutes Kleid hat kein Verfallsdatum. Dieses Umdenken muss auch bei den Verbrauchern stattfinden,“ fordert die VOGUE -Chefredakteurin.

Ist Haute Couture zu teuer?

Immer wieder gibt es diese Diskussion. Ein Kleid um 8000 Euro, das sei unmoralisch, meinen manche. Oft sei so ein Preis für ein Haute- Couture-Kleid berechtigt, meint Chris­tiane Arp, und stellt klar, dass selbst sie wenige Kleider dieser Preisklasse im Schrank hat: „Wenn sie in eines der großen Haute-Couture-Ateliers gehen und die Petites Mains sehen, mit welcher Präzision dort Stich für Stich gearbeitet wird – das ist edelstes Handwerk. Warum soll so ein Kleid dann nicht auch seinen Preis haben?“

Tabu Pelz

Christiane Arp geht offen mit allen möglichen Fragen um, auch wenn sie unbequem anmuten sollten, wie zum Beispiel das Tabuthema Pelz. „Wir zeigen auch mal Pelze, aber nur, wenn wir wissen, woher sie kommen. Und es kann genauso gut auch Fake Fur sein. Wenn es Echt-Pelz ist, möchten wir sichergehen, dass das Tier unter vernünftigen Bedingungen gelebt hat.“ Für ein No-Go hält Arp kurzlebige Stücke wie etwa Pelzpompoms auf billigen Kin­dermützen. „Da kann man nicht wissen, wo der Pelz herkommt.“ Und Nachhaltigkeit sei auch eine Frage von Nachfrage und Angebot.

Engagement für junge Designer

Ein großes Anliegen ist Christiane Arp auch dieFörderung junger Design-Talente. Im Jahr 2011 gründet sie den VOGUE Salon und initiierte im Januar 2015 die Gründung des Fashion Council Germany. Da wird Lobbying betrieben: „Wir wollen sichtbar machen, dass es ein großes kreatives Potential an Designern in Deutschland gibt. Wenn wir sehen, dass einige von unseren „Schützlingen“ eigene Läden aufmachen, dann heißt das wiederum, dass es einen Markt für diese Mode gibt, den viele womöglich noch un­terschätzen.

Heute sind Frauen modisch emanzipiert. Sie brauchen keine sichtbaren Labels, um zu signalisieren: ich kenne mich aus! Der Trend geht zu einem eigenen Stil, den man nicht sofort zuordnen kann. Und da ist auch der Handel gefordert: er muss sich ständig adaptieren und Überraschungen bieten, die on­­line nur schwer zu finden sind.“ „Deshalb ist es eine gute Zeit für neue Designer. Das war auch die ursprüngliche Idee, als wir den VOGUE Salon gegründet haben: Eine Plattform, mit der wir dem Handel die Trüffelschwein-Aufgabe abnehmen indem wir kuratieren und durch die VOGUE -Brille sagen: Das sind die relevantesten neuen Designer, die wir unterstützen und auf die ihr ein Augenmerk legen solltet. Wir schaffen so eine Begegnungsstätte zwischen dem Nachwuchsdesigner und dem Handel.“ Der Fashion Council coacht mit entsprech­enden Förderprogrammen gezielt Talente über einen längeren Zeitraum. Aktuell sind drei Designer dabei, darunter die in Berlin lebende Ös­ter­reicherin Marina Hoermanseder. Sie müssen schon eine eigene Kollektion vorweisen können. Es sind also keine Studenten, die noch an einer Hochschule sind. „Wir erhoffen uns, dass mit so einer nachhaltigen Unterstützung jemand den Durchbruch schafft, von dem wir sagen können: Der steht auch international für deutsches Design – das ist das Ziel“, so Christiane Arp.„In nur eineinhalb Jahren sind wir mit dem Council ­– nur mit ehrenamtlichen Mitarbeitern – schon weit gekommen“, freut sich Christian Arp. Keine schlechte Bilanz „denn nebenbei müssen wir ja auch noch unseren Job erledigen“. Und: Bei der Modeförderung geht es nicht zuletzt auch um Arbeitsplätze; und auch die Politik ist gefordert. „Gerade um Berlin, oder im Raum Frankfurt gibt es zahlreiche Textilbetriebe. Unsere Bestrebungen, Designer zu fördern, zieht eine Wertschöpfungskette nach sich. Deswegen sollte auch die Politik, insbesondere das Wirtschaftsministerium, ein Interesse haben, dass diese Zunft weiterbesteht.“

Modeikone mit vollem Kleiderschrank

Als Verantwortliche der angesehensten Modezeitschrift steht man natürlich im Rampenlicht. Und da wird ganz genau geschaut, was man trägt. Kann es da sein, dassman einem Designer vor den Kopf stößt,wenn man bei einem Event ein Kleid der Konkurrenz trägt? „Nee, das funktioniert anders“, sagt Chris­tiane Arp. Sie hat ihren eigenen Stil und trägt grundsätzlich nichts, das eine starke Erkennbarkeit hat. Ihr Kleiderschrank? „Der ist voll! Ich kannmich ganz schlecht von Kleidern trennen. Ich habe genug von allem – ich müsste mir wahrscheinlich nie wieder eine Hose, Jacke oder ein Kleid kaufen. Aber ich tue es trotzdem, weil es mir Spaß macht und weil ich es mag, wenn mich tolle Kleidungsstücke „finden“. Und weil ich weiß, wie Mode meinen Alltag positiv bestimmen kann.“

Macht der Mode?

Manche Frauen wollen sich durch Mode schöner fühlen. Christiane Arp spricht von ihren Kleidungsstücken auch schon mal als Komplizen, denn: „Wenn ich einen wichtigen Event habe, bei dem ich Gastgeberin bin, eine Rede halte und permanent beobachtet werde – da möchte ich mir über mein Outfit keine Gedanken machen müssen. Ich trage dann etwas, das mich unterstützt, mich schön fühlen lässt, dann ist es Mode im besten Sinn. Darum sind Kleider in gewisser Weise auch meine Komplizen.“

Ihre Vorlieben?

Natürlich mag sie Kaschmir und Dinge, die gut verarbeitet sind: „Wenn Stücke innen so schön wie außen sind, spürt man das beim Tragen.“ Und zum Thema Bequem? „Bei Foto­shootings sitze ich spätestens beim zweiten Look auf dem Boden und mache das Styling – da ist bequeme Kleidung gefragt.“

Aber: Kleidung kann für Christiane Arp auch Rüstung sein: „Wenn sie müde sind und am Abend zu einem Event müssen, da wäre es falsch, wenn Kleidung zu bequem ist. Da hilft es, wenn die Kleidung einem Haltung verleiht, und dabei unterstützt, dass man nicht müde wirkt, sondern wach!“

Dauernd unterwegs

Ihr Job bedingt, dass Christiane Arp viel reist. Sie mag das, aber es verlangt ständig einen neuen Rhythmus. „Zum Thema Zeitverschiebung hat jeder seine Methode gefunden, um halbwegs über die Runden zu kommen. Ich bin relativ diszipliniert – gerade wenn ich hier in München bin, laufe ich regelmäßig. Das scheint mir mit das Gesündeste zu sein und hilft, den Kopf frei zu haben.“

Beobachtungsgabe

Aus Momenten, in denen sie „den Kopf frei hat“, zieht sie oft auch Inspiration für die re­daktionelle Arbeit: „Ich nehme meine Umgebung dann anders wahr. Wenn ich beim Joggen an einem satt-grünen Garagentor vorbeikomme, oder wenn ich auf dem Land bin und die Atmosphäre dort spüre, kann das schon die Inspiration für eine neue Modegeschichte sein.“ Außerdem liebt sie Fotografie: Die Macht der Bilder, die einen magischen Moment festhalten. „Manche drücken genau dann ab, wenn der Moment da ist, und andere sind eine Se­kun­de zu spät. Das macht den Unterschied zum wahren Fotografen.“ Große Reportagen, Fotografien auch in Krisengebieten. „Das reale Bild ist wichtig, hoffentlich noch lange: da geht es um Zeitdokumente. Auch Modefotografie ist ein Spiegel der Zeit, in der sie aufgenommen wurde.“ Christiane Arp mag jede Form von Handwerk und gibt unumwunden zu: „Ich stricke nach wie vor!“ Erste Schritte in Sachen Mode hat sie übrigens schon als Kind gemacht: sie hat ihre Barbiepuppen eingekleidet.

Das Gespräch führte Christian Fillitz.