Fast zwanzig Jahre lang am Puls der letzten Musiktrends zu bleiben, ist gewiss kein kleines Kunststück. Der Anti-Establishment-Sender FM4 konnte bisher jeden Anflug von Alterung lässig vermeiden. Das liegt zu einem nicht geringen Teil an seiner Chefin Monika Eigensperger, die als Ausgleich zum Leben in der Subkultur die Idylle eines Gartenhäuschens kultiviert.

Von Zeit zu Zeit verspüren selbst Radionutzer mit fest eingefleischten Hörgewohnheiten das Bedürfnis, den Suchlauf ihres Geräts auf Reise zu schicken. Sollte dabei die Skala einmal bei 103,8 Megahertz hängen bleiben, beginnen die Lautsprecher unweigerlich bald unter den fetten Beats zu zittern. Wer hinhört, vernimmt Texte wie „Kleinganovenbeichte mit zwei Fingern über Kreuz / Wir sind Legenden, wir selbst / In diesem Hinterland. Verdammtes Hinterland“, oder auch „Girls, rub on your titties / Yeah, I said it, rub on your titties / New York City gritty committee pity the fool“. Willkommen auf FM4, wo Titel wie „Hinterland“ von der deutschen Band Casper oder „Simon Says“ von Pharoahe Monch zur täglichen Kost gehören. Willkommen in der Welt der 12- bis 20-Jährigen, in der Welt der Rapper und DJs und der Hörer, die SMS mit „Swag“ oder „Yolo“ oder „Yalla“ verschicken, wenn sie Freun­de auf gerade laufende coole Songs aufmerksam machen wollen. Willkommen in Monika Eigenspergers Reich.
Die rothaarige Radiomacherin hat das Programm, mit dem der ORF heute seine Hörerstatistik kräftig verjüngt, vor beinahe 15 Jahren mitgegründet, sie leitet den Betrieb, seit er von einer Techno-Nische auf Ö3 zu einem eigenständigen Sender wurde, sie hat seither die Art, wie die Kids in Österreich Musik hören, maßgeblich mitbestimmt. Und sie sieht trotzdem nicht so aus, wie man sich Jugendradio-Nerds gemeinhin vorstellt. Monika Eigensperger trägt weder Piercings in der Nase noch Militärstiefel an den Beinen, sie verzichtet auf die geräumigen Kapuzenjacken der Rapper ebenso wie auf die taillenkurzen Lederjacken und fingerfreien Handschuhe, die bei DJanes zum Markenzeichen gehören. Nicht einmal ganztägig getragene Ohrstöpsel, eine Selbstverständlichkeit beim Großteil der jungen Hörer, gehören zu ihrem Repertoire. Aber die FM4-Lady ist eben auch gleichzeitig Managerin, die Sitzungen leiten, Budgets verwalten und Verträge mit Veranstaltern aushandeln muss. Auch hier widersetzt sie sich den Klischees, denn „executive“ ist das Auftreten der Frau Senderchefin schon gar nicht. Sie bevorzugt bequeme Teile in den Farben schwarz und violett, kombiniert gern Pullover mit lässig geschnittenen Hosen und pflegt eine heimliche Vorliebe für Kleider. „Die sind für Frauen das, was Anzüge für Männer bedeuten: Man schlüpft hinein und ist für alle Anlässe passend angezogen“, urteilt die Radiomacherin. Dazu trägt sie meist flache Schuhe, wenn auch schweren Herzens: „Nach dreißig Jahren High-Heels-Missbrauch reagieren Fußbett und Rücken leider beleidigt auf hohe Absätze. Deshalb gebe ich meist der Bequemlichkeit den Vorzug.“ Und so hat Monika Eigensperger eben einen ganz persönlichen Stil gefunden, mit dem sie praktisch immer ins Bild passt, ob sie nun im ORF-Funkhaus in der Argentinierstraße mit Männern in grauen Sakkos um den Konferenztisch sitzt oder im Café von Künstleragenten bestürmt wird; ob sie sich beim FM4 Frequency-Festival, dem jährlichen Livemusikfest des Senders, unter die Zuschauer mengt oder in ihrem gläsernen Büro im hinteren Trakt des ORF-Funkhauses Mails beantwortet und Mitarbeiter auf Trab bringt.

Der typische Arbeitstag der Radio-Chefin beginnt spät – eine paradoxe Konsequenz aus der Tatsache, dass FM4, wie alle Stationen, früh morgens die meisten Hörer hat. Die „Morning Show“ läuft von 6 Uhr bis 10 Uhr, ein durchmoderierter Marathon für alle jene, denen schon bei Sonnenaufgang die Rhythmen nicht hart genug sein können, die aber trotzdem alle Viertelstunden über das Wetter und die Verkehrslage informiert werden wollen. Erst nach zehn Uhr kann somit bei FM4 die Frühsitzung stattfinden, wo die Chefs vom Dienst und die leitenden Redakteure zusammenkommen, um das Programm des Tages durchzusprechen. Ab elf folgen dann Meetings mit Projektleitern, also Redakteuren, die besondere Themenschwerpunkte vorbereiten, aus dem Schema fallende Sendungsideen entwickeln oder Veranstaltungen des Senders vorbereiten. Meist ziehen sich die Besprechungen bis in den Abend – falls nicht überhaupt eine abendliche Verpflichtung oder der Besuch eines Stars den Arbeitstag bis spät in die Nacht verlängern. Am Morgen aber hat Monika Eigensperger viel Zeit. Sie nutzt die frühen Stunden für Zwie­gespräche mit ihrem Garten. „Ich frühstücke nicht wirklich, nehme mir nur ein Häferl voll Kaffee und laufe hinaus, bei jedem Wind und Wetter. Dort finde ich immer etwas zu tun, dürre Blätter pflücken, geknickte Zweige abschnipseln, die Erde rund um einen Strauch in Ordnung bringen. Vor allem aber genieße ich das, was ich sehe, sauge den Anblick der Bäume und der Blüten geradezu auf. Irgendwann schaue ich dann erschrocken auf die Uhr, pack mich rasch zusammen und fahre hektisch ins Funkhaus.“ Der Garten gehört zu einem einstöckigen Häuschen mitten im Wiener Arbeiterbezirk Favoriten, das vor rund einem Jahr in der bis dahin eingefleischten Städterin die Lust am Grün weckte: „Wenn ich gewusst hätte, wie viel Freude mir der Umgang mit Pflanzen und der Aufenthalt im Freien machen, wäre ich schon viel früher aus der Wohnung in ein Haus gezogen.“ Allerdings in ein Haus wie dieses, mit Historie, mit Eigenleben und Persönlichkeit – ein Neubau wäre nicht in Frage gekommen. Auch Wände, Teppiche und Möbel entspringen nicht dem einheitlichen Entwurf eines Designers, sondern erzählen von der Geschichte ihrer Bewohner. Kurz nach dem Übersiedeln schenkten Freunde der frischgebackenen Hausbesitzerin ein paar Beraterstunden mit einer Gartenarchitektin. „Ich habe gesagt, Rasen und Thujen passen nicht zu mir, ich möchte, dass es wuchert, dass von Jänner bis Dezember immer etwas blüht, und ich will es pflegeleicht.“ Entstanden ist daraus ein wahrer Dschungel, der selbst noch im Herbstnebel Ahnungen von keimendem Leben aufkommen lässt. Das private Outdoor-Refugium grenzt direkt an die ebenerdig gelegene Wohnküche – ein aus alten Geräten und ehrwürdig patinierten Schränken zusammengefügtes Dauerprovisorium. „Da bin ich ein bisschen ratlos. Erst hab ich gesagt, die Küche richten wir später ein, und jetzt gefällt mir dieses Sammelsurium, ich will eigentlich keine durchgestylte Küche mehr. Außerdem habe ich festgestellt, dass man mit diesen Museumsstücken sogar kochen kann.“ Im Obergeschoß liegt ein Salon, das Schlafzimmer, das Badezimmer, hinten im Garten steht noch ein hölzernes Atelier, vollgeräumt mit Büchern und CDs, denn auch Eigenspergers Lebensgefährte Walter Gröbchen arbeitet im Musikbusiness: Er ist Journalist, Kritiker, Verleger und Produzent; mit ihm teilt sie sich den Platz im Haus – abgesehen von den beiden Katzen Cappuccetto und Anatol. Die Musik auf den CDs umfasst ein breites Spektrum: Techno, Rap und Dancefloor, DJ-Mischungen, Hardrock, Rhythm & Blues, Popklassiker, viel Jazz – die Hausherrin liebt tatsächlich Jazz und sorgt dafür, dass er auch auf ihrem Radiosender gelegentlich zu hören ist, wenigstens in der Nacht, in der „Sleepless“-Leiste ab 1 Uhr. Überhaupt könnte der größte Teil der privaten Musiksammlung auch über den Äther gehen, ohne dass die verantwortlichen Musikredakteure großen Einspruch erheben müssten. So wie an vielen Abenden der Woche dienstliche Verpflichtungen und private Vorlieben unmerklich ineinander fließen, so unterscheidet sich auch der private Musikgeschmack der Senderchefin nur unwesentlich von der Klangfarbe der Radiostation. Es lässt sich eben nicht leugnen: FM4 und Monika Eigensperger gehören zusammen wie Gulasch und Saft. Dabei war auch diese Verbindung ursprünglich ein Provisorium, aus dem vorläufig eine Dauerbeziehung wurde.

„Zum Frühstück laufe ich mit einem Häferl Kaffee in den Garten. Dort genieße ich das, was ich sehe, sauge den Anblick der Bäume und der Blüten auf.
Irgendwann schaue ich dann erschrocken auf die Uhr,
pack mich rasch zusammen und fahre hektisch ins Funkhaus.“
Monika Eigensperger

Schon 1994 stieß die Radioreporterin durch Zufall zu jenem Projektteam, das vom Groß-Sender Ö3 dafür auserkoren wurde, ein Spezialprogramm für die zunehmend unterbetreute Zielgruppe der jungen Hörer zu entwickeln. Ö3 war ja in den 1960er Jahren selber als Jugendsender gestartet, hatte Beat und Rock und Pop in Österreich zu einer Zeit populär gemacht, als die Beatles noch heftig angefeindet wurden und die Rolling Stones als Revoluzzer galten. Doch die jugendlichen Hörer wurden erwachsen, der ehemals gegen das Establishment gerichtete Sender wurde selber zum meistgehörten, breitesten und kommerziell wich­tigsten Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und landete damit unausweichlich im Mainstream. Bald stellte sich heraus: Ein Programm, das ohne Unterschied für Menschen zwischen 15 und 65 konsumierbar sein soll, bietet wenig Attraktionen für Jugendliche in einem Alter, in dem sie sich über ihre möglichst ausgefallenen Musikvorlieben definieren wollen. Also rief Ö3 eine Task Force für Subkultur ins Leben. Ab 1995 lief die Musik, die sonst niemand wollte, jeden Abend auf Blue Danube Radio, dem legendären englischsprachigen Kanal, den sich der ORF damals noch leistete. Die Vermählung zwischen den Machern des Fremdsprachen-Radios und den jugendlichen Querköpfen wurde fünf Jahre später endgültig besiegelt: Seit Februar 2000 sendet FM4 auf eigener Frequenz unter eigenem Namen – doch immer noch den größten Teil des Tages mit englischer Moderation und englischen Nachrichten, zweimal kommen auch noch Actualités Françaises dazu. Das Team des Senders besteht überwiegend aus Native Speakers, viele davon waren schon bei Blue Danube Radio dabei. Musikenthusiasten aus der Szene kommen immer wieder als Mitarbeiter dazu. In dieser Mischung liegt eines der Erfolgsrezepte, ist Eigensperger überzeugt: Menschen aus 45 Nationen, englisch und deutsch als gleichwertige Arbeitssprachen, alterfahrene Radiomacher neben jungen Rebellen. „Ich glaube, dass wir die Weltoffenheit, die wir propagieren, auch selber leben“, lobt die Senderchefin ihre Mannschaft und weist das Etikett „Jugendsender“ gleich verärgert zurück: „Wir sehen uns als Kulturradio für eine junge Zielgruppe. Überhaupt, was heißt schon jugendlich? Diese Einteilung in Alterskategorien ist doch Quatsch. Es gibt junge Leute mit sehr traditionellem Musikgeschmack, und es gibt alte Menschen, die ganz in der Subkultur zu Hause sind. Wo steht denn, dass man ab einer bestimmten Altersgrenze die Musikvorlieben ändern muss? Bei Mozart denkt ja auch niemand darüber nach, wie alt die Leute sein sollen, die das hören.“ Bei den Sprachsendungen konnte sich FM4 sowieso als Trendsetter profilieren. Stermann & Grissemann, die heute zu den erfolgreichsten Kabarettisten des Landes gehören, starteten ihre Karriere als FM4-Moderatoren, wo sie in einer Sendung namens „Salon Helga“ den zum Kult gewordenen Stil des lakonischen Zwiegesprächs und des pointenlosen Humors entwickelten. Aktuell lockt einmal in der Woche der Conferencier Herr Hermes (alias Hans Szivatz) Hörerscharen in sein Format „Chez Hermes“.

Dass eine erfolgreiche Radiostation ihre Zielgruppe auch mit Live Events binden muss, gehört zum handwerklichen Einmaleins des Medienmarketings. Im Falle von FM4 sorgt das jährliche Frequency Festival, das früher am Salzburgring und in den letzten Jahren im Greenpark von St. Pölten über sieben Bühnen ging, für das nötige Fan-Kreischen. Gut 130.000 Besucher reisen da an – und lauschen Jahr für Jahr den aufregendsten Namen aus der Indie-Szene, aus Hip Hop, Grunge, Electric und was auch immer gerade weltweit die Ohren erobert. Das Zusammenleben mit Walter Gröbchen macht es für Monika Eigensperger leichter, den rasch wechselnden Trends auf der Spur zu bleiben und hilft ihr auch, derart große Events ohne Belastung für ihr Privatleben durchzustehen. „Ich habe das Glück, dass ich beruflich und privat fast nie auseinanderhalten muss“, ist sie sich bewusst, „es gibt kaum eine berufliche Verpflichtung, wo Walter nicht mit gleichem Interesse mitgehen würde.“ Seit zehn Jahren sind die beiden ein Paar, „und davor waren wir schon 20 Jahre Kollegen.“ Doch erst als Gröbchen kurz nach der Jahrtausendwende aus Deutschland zurückkehrte, wo er unter anderem für Musikkonzerne wie Universal oder Warner gearbeitet hatte, wurde aus dem kollegialen Nebeneinander eine Partnerschaft. Seither teilen Monika und Walter Haus, Garten, Musik und den Großteil der privaten Vorlieben. Nicht alle. „Mein Interesse an Musik“, sagt Monika, „endet sehr schnell, wenn ich HiFi-Messen durchwandern muss, um herauszufinden, welche von 300 Lautsprecherboxen am besten klingt.“ Und wo würde Walter Gröbchen die Teilnahme verweigern? „Bei meiner wöchentlichen Yoga-Stunde – die aber leider nur selten wirklich wöchentlich stattfindet, es geht sich halt sehr oft nicht aus.“ Damit die gestresste Radiochefin trotzdem nicht ihre innere Mitte verliert, hat sie sich eine Arbeitsumgebung geschaffen, die anregend, praktisch und beruhigend zugleich ist. Wichtigstes Möbel ist der Besprechungstisch, aber gleich danach kommt die riesige Wandtafel, auf der die Pläne und Vorhaben der nächsten Zeit aufgezeichnet sind, als Mahnung und Gedächtnisstütze. Darunter steht ein riesiger Ficus, ein lebendiges Denkmal des trotzigen Widerstands. Er musste aus einem anderen Büro weichen und fand zunächst Asyl im Chefbüro, als Provisorium. Alle wohlmeinenden Bekannten rieten Eigensperger dringend ab, ihn zu behalten, weil sie stark zu Allergien neigt, und Ficus – so warnten die Freunde – löst besonders starke Allergien aus. Die Radiomanagerin beschloss, es trotzdem mit dem rundblättrigen Ungetüm zu versuchen. Und gegen alle Prognosen klappte das Zusammenleben: „Er weiß, dass ich ihm das Leben gerettet habe und liebt mich.“ Der Ficus ist aus Monika Eigens­pergers Büroleben nicht mehr wegzudenken.
Das Interview führte Walter Hirtenberger