Auf ihrem Weg durch die heimische Medienszene hat Nadia Weiss schon einiges mitgemacht: Aufstieg und Ende des U-Express und die Gründung der Gratiszeitung heute, sie fühlte für die Kronen Zeitung Politikern und Wirtschaftsbossen auf den Zahn und spürte Lifestyle-Trends nach. Seit kurzem widmet sie sich dem Filmen – und ihrer Leidenschaft fürs Kochen.

Die Kunst ist ein weitläufiger Kosmos, findet Nadia Weiss und blickt immer wieder hinüber zur kleinen Passage, die das Res­taurant Do&Co von der Albertina trennt. Da hinten beginnt die Welt der Bilder und der gemalten Emotionen, da hängen die frohen Farb-Phantasmagorien von Joan Miró und die entrückten Blumenfelder von Claude Monet, dort ruht irgendwo Dürers Hase im sicheren Tresor. Diesseits der unsichtbaren Barriere huschen Kellnerinnen in Schwarz zwischen den Polsterbänken von Tisch zu Tisch, bringen zarte Salate und Eiskühler mit Weinflaschen. Ein passender Ort für ein Interview mit einer Journalistin, die sich gerade erst ein halbes Jahr lang mit zeitgenössischen Künstlern und Kunstförderern herumgeschlagen hat, nämlich für ihre Film-Doku „State of the Art – Stimmen der Kunst“. Dutzende Kunstschaffende von Erwin Wurm über Hermann Nitsch bis Arnulf Rainer setzten sich dafür bereitwillig in eine beichtstuhlähnliche Skulptur, die Frank Gehry 1999 für die Biennale di Venezia konstruiert hat und die er auch „The Art Confessional“ (also „Kunstbeichtstuhl“) nannte. Drei Wochen lang stand das Gebilde im Sommer 2014 im Belvedere und bildete den Mittelpunkt des Films, an dem sie gemeinsam mit Co-Regisseurin Barbara Heraut arbeitete, erzählt Nadia Weiss und nimmt seufzend einen tiefen Schluck vom frisch eingeschenkten Sauvignon blanc: „Was wir da bekommen haben, waren Geständnisse über Macht, Sex und Geld, über die Angst vor dem Kommerz und die gleichzeitige Angst vor dem Ausbleiben von Erfolg.“ Die Dokumentation all dieser Beichtgespräche wurde mit Szenen aus „The Venice Project“ angereichert, jenem 1999 in Venedig mit demselben Frank-Gehry-Kunstobjekt gedrehten Film von Robert Dornhelm, der für „State of the Art“ als Vorbild gedient hat. Im September lief der Bericht im Fernsehen. Für die Autorinnen ist die Arbeit längst Vergangenheit, Nadia Weiss brütet bereits über dem nächsten Projekt, diesmal einem Film über Südtirol.

Aber die Eindrücke aus einem halben Jahr der intensiven Kontakte wirken nach. „Kunst ist für mich noch wichtiger geworden“, resümiert die Journalistin, „ich habe mich immer dafür interessiert, aber der Film hat meinen Blickwinkel verändert.“ Gunter Damisch hat sie zum Beispiel mit seinen Gedanken über das kulturelle Bewusstsein beeindruckt, über die aktive Arbeit, die jeder Betrachter bei der Auseinandersetzung mit Kunst leistet. „Die Folgerung daraus müsste eigentlich lauten, mehr Kunst im Alltag, im öffentlichen Raum unterzubringen. Die Umgebung prägt die Haltung, darauf geben wir viel zuwenig acht.“
Eine so gründliche Befassung mit dem Gegenstand ihrer journalistischen Arbeit, die ist auch für Nadia Weiss etwas Neues. Denn eigentlich war Nadia Weiss in den letzten 15 Jahren Schreiberin, die meiste Zeit verfasste sie kurze, rasche Artikel für tagesaktuelle Medien – U-Express, heute, Kronen Zeitung. Da ging es darum, schnell zu reagieren, kurz, knapp und unter Druck das Wesentliche zu Papier zu bringen und sofort zum nächsten Thema weiterzuwandern. Jetzt widmet sie sich monatelang der Vorbereitung eines Projekts, die Dreharbeiten dauern noch einmal mindestens ein paar Wochen, das fertige Werk läuft, wenn es gut geht, frühestens ein Jahr nach dem Start der Arbeiten über die Bildschirme.
„In der Vorbereitungsphase ist eine Filmdoku einer geschriebenen Reportage noch recht ähnlich, Recherche und Aufbereitung des Themas verlaufen ähnlich. Aber die Umsetzung braucht ganz andere Mittel. Im Film muss man zeigen, nicht beschreiben, braucht Bewegung und muss darauf achten, dass die Bilder zum Inhalt hinführen und nicht ablenken. Das ist schwierig, aber wenn es gelingt, ist ein Film prägnanter als ein Text.“
Obwohl auch das Schreiben seine Reize hatte, wie die zur Filmerin mutierte Zeitungsredakteurin diplomatisch einlenkt, „die Abwechslung in der Zeitungsredaktion war schon auch spannend. Vor allem in den kleineren Teams. Man musste vielseitig sein und notfalls richtig zupacken können. Als 2001 der Krieg in Afghanistan ausbrach, musste ich im U-Express 12 Seiten allein füllen.“ Der U-Express – das war der schon fast wieder vergessene Vorgänger der Gratiszeitung „heute“, und Nadia Weiss werkte dort eigentlich als Kulturredakteurin. Aber da es sich um ein junges Medium mit jungen Mitarbeitern und einem Minimum an festen Regeln handelte, konnten sich vielseitige Schreiber fast nach Belieben austoben. Die Journalistin gehörte da schon zu den Erfahreneren in der Redaktion, immerhin hatte sie zwei Jahre für die „Kronen Zeitung“, genauer, die bunte Sonntagskrone gearbeitet. Dorthin wiederum gelangte sie durch eine Mischung aus jugendlicher Unbekümmertheit, Glück und Gespür für den richtigen Augenblick. Ursprünglich stammt Nadia Weiss aus Südtirol, wuchs in Meran auf, „wo wir Palmen und Feigenbäume im Garten hatten und gleichzeitig den Blick auf verschneite Berggipfel“. Nach der Matura („im Albert Einstein Gymnasium“) kam sie nach Wien, um hier Psychologie zu studieren und zog mit zwei Freundinnen in eine WG. Glücklicher Zufall war es, dass die Wohnung nebenan Nikolaus Schrefl gehörte. Der Journalist und Buchautor schrieb damals die Gesellschaftskolumne für die bunte Tageszeitung „täglich alles“ und wollte Nadia dafür gewinnen, in seine Redaktion zu kommen. Die Idee mit dem Journalismus nahm sie dankbar auf – das konkrete Angebot hingegen lehnte sie in einem Überschwang von jugendlichem Selbstbewusstsein ab. „Ich habe ihm gesagt, ich möchte lieber für die Kronen Zeitung schreiben“, erinnert sie sich, worauf er lachte und meinte, „du kannst es ja probieren.“ Genau das tat die Studentin aus Südtirol dann auch, schrieb einen Brief an Hans Dichand, in dem nicht viel mehr stand als die Tatsache, dass sie gern für sein Blatt etwas machen wollte. Und prompt war das Schreiben zu einem Zeitpunkt auf dem Tisch des Krone-Herausgebers gelandet, wo dieser seine Zeitung ein bisschen verjüngen und um ein paar zeitgemäße Lifestyle-Seiten erweitern wollte. Nadia Weiss erhielt eine wöchentliche Kolumne mit dem Titel „Voll im Trend“, wo sie über all jene Nichtigkeiten schrieb, die das Leben schön machen und die Wirtschaft in Schwung halten: Mode, Schmuck, Kosmetik, Accessoirs, Stilfragen. Das war anno 1999. Eineinhalb Jahre später wechselte sie zum U-Express, einem im Rückblick ziemlich folgenreichen Zeitungsexperiment, hinter dem offiziell die Gemeinde Wien stand, bei dem aber Dichand hinter den Kulissen bereits die Fäden zog. Viele Details dieses Projekts sind immer noch vom Nebel der Dementi umwabert, es gilt aber inzwischen als unbestritten, dass der Krone-Gründer damals über eine Gratiszeitung nachdachte, mit der er den Markt sozusagen nach unten absichern könnte – was er aber nicht offen betreiben konnte, weil sein Hälfte-Partner dagegen war, nämlich die deutsche WAZ-Gruppe, die heute nach Veränderungen in der Ei­gentümerstruktur Funke Mediengruppe heißt.

Die große Innovation beim U-Express bestand darin, dass die Zeitung gratis in den U-Bahnen vertrieben wurde, was ihr ganz automatisch eine große Leserschaft bescherte, nämlich alle jene Passagiere, die sich die Wartezeit auf den nächsten Zug verkürzen wollen. Dass die Familie Dichand hinter dem Projekt steht, wurde erst offenkundig, als der erfolgreiche U-Express 2004 über Nacht eingestellt wurde und stattdessen eine gleich geartete Zeitung namens „heute“ auftauchte, in der Eva Dichand, ihres Zeichens Schwiegertochter, die Geschäftsführung übernahm. Zehn Jahre später ist „heute“ das reichweitenstärkste Printmedium im Raum Wien, seine Eigentümer sind indes immer noch hinter einer byzantinisch-komplizierten Treuhänderkonstruktion verborgen. Nadia Weiss steckte von Anfang an mitten im Epizentrum dieses medienpolitischen Bebens, freilich ohne um die großen strategischen Schachzüge im Hintergrund zu wissen oder sich auch nur darum zu kümmern. Die Südtirolerin übernahm gemeinsam mit einem Kollegen die Kulturredaktion, warf sich mit Schwung in die Arbeit und entdeckte die Vor- und Nachteile des Lebens eines Kultur-Aficionados: „Es war toll, weil ich dauernd dienstlich ins Theater gehen konnte. Davor und danach war ich nie wieder so oft in der Oper oder in der Burg. Aber natürlich musste ich auch Unnötiges über mich ergehen lassen.“ Junge Unternehmen bieten bekanntlich gute Aufstiegschancen: Nadia Weiss war bald stellvertretende Chefredakteurin und blieb es, bis das Blatt, wie erwähnt, eingestellt wurde, um für „heute“ Platz zu machen. Das passierte am 31. März 2004, und zwar so plötzlich, dass mit Ausnahme einiger weniger in der Geschäftsführung die gesamte Mannschaft völlig überrumpelt war. „Man hat bis zum Redaktionsschluss am Abend gewartet“, schüttelt die Ex-Chefredakteurin noch heute den Kopf, „dann teilte uns der Chef mit: Das war jetzt die letzte Ausgabe.“ Während noch allgemein ungläubiges bis empörtes Gemurmel der unerwarteten Nachricht entgegenschlug, sprang Nadia plötzlich erschrocken auf und rief: „Um Gottes Willen, die letzte Ausgabe? Wir haben doch gerade ein Gewinnspiel gestartet!“ Die Ankündigung konnte kurz vor Drucklegung noch entfernt werden…Als fünf Monate später, im September 2004 die Zeitung „heute“ das Licht der Welt erblickte, waren die meisten aus der „U-Express“-Mannschaft wieder mit an Bord, unter anderem auch Nadia Weiss. Und sie erlebte ein zweites Mal den Zyklus von raschem Aufstieg und plötzlichem Abbruch, denn als „heute“ eine wöchentliche Farbbeilage ins Leben rief, wurde die Kultur- und Lifestyle-erfahrene Journalistin zur Chefredakteurin gekürt. Das jeden Freitag beigelegte Magazin hieß „Live“, überraschte durch die ungewöhnliche Kombination aus TV-Programm und Society-Geschichten und erfreute sich bald großer Beliebtheit bei den Anzeigenkunden. Die Controller im Verlag waren weniger glücklich, denn das Produkt verursachte hohe Druckkosten und stellte die Vertriebskolonnen vor Probleme. Oder so ähnlich – vielleicht stimmen ja auch die Gerüchte, dass die Konkurrenz in der Mediaprint-Familie nicht gern gesehen wurde.
Faktum ist, dass die Farbbeilage trotz Erfolgs eingestellt wurde. Mit ihr verschwand auch die immer gleiche wöchentliche letzte Seite mit dem Titel „Auf einen Kaffee mit Hans Dichand“, für die Nadia Weiss regelmäßig mit dem „Krone“-Chef über die großen Fragen der Welt parlierte – ganz nach dem Vorbild der deutschen Edelgazette „Die Zeit“, in der sich eine Zeitlang der Chefredakteur regelmäßig „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“ zusammensetzte. Dichands Kaffeeplauderei erlangte zwischenzeitlich beinahe Kultstatus, denn zum einen stand der Krone-Chef damals auf dem Höhepunkt seiner realen Macht, sodass jedem seiner Worte gleich politisches Gewicht zukam, zum anderen war er aber auch schon recht betagt und viele seiner Aussagen, naja, etwas verschroben. Nadia Weiss umschiffte diese Probleme stets souverän. Interviews mit schwierigen Persönlichkeiten gehörten damals schließlich schon zu ihrem Berufsalltag, denn sie hatte neben der Arbeit für „Live“ die fast wöchentlich erscheinenden großen Interviews in der Kronen Zeitung übernommen, die sie auch nach dem Ende von „Live“ noch vier Jahre lang betreute. Dort holte sie Politprominenz ebenso vor das Diktiergerät wie Konzernbosse und kirchliche Würdenträger. Der Autor des Kirchen-Enthüllungsbuches „Vatileaks“, Gianluigi Nuzzi, erzählte ihr von Intrigen und Fraktionskämpfen im Vatikan und von Kardinälen, die gern Christoph Schönborn als Papst gesehen hätten. Nicht in die Zeitung kam in diesem Fall der Part des Gesprächs, wo Interviewerin und Bestsellerautor zum Thema „italienische Küche“ abschweiften und ausführlich von Pasta, Risotto und gegrillten Fischen zu schwärmen begannen. Die Journalistin liebt mediterrane Küche. Klar, den kulinarischen Traditionen ihrer engeren Heimat zollt sie Respekt, und herzhaft gewürzte asiatische Kost ist auch stets willkommen, aber wirklich emotional wird sie bei einem Teller Penne all’arrabiata oder einem duftenden Haufen frischer Vongole.
Der Frage nach ihrer eigenen Nationalität geht sie, wie alle Südtiroler, stets nonchalant lächelnd aus dem Weg. Gemäß Pass und Staatsbürgerschaftsurkunde ist sie Italienerin, Muttersprache und kulturelle Kindheitsprägung sind alpin-tirolerisch – und genaugenommen spielen nationale Zugehörigkeiten in der EU ohnehin keine Rolle mehr. Nadias Lieblingswein wächst gleich hinter der Grenze der Provinz Alto Adige, dort wo selbst für einen Südtiroler bereits unbestreitbar das italienische Italien beginnt, auf dem Campo Rotaliano: „Der Teroldego von Elisabetta Foradori begeistert mich jedes Mal wieder. Er hat eine spielerische Leichtigkeit und ist zugleich intensiv in den Aromen, wunderbar. Auch die Persönlichkeit der Winzerin finde ich beeindruckend.“ Und zudem passt er zu einem der bevorzugten Gerichte, die sie gern selber kocht, nämlich Saltimbocca „mit viel Parmesan und viel Butter“. Der Salbei, der das dünn geklopfte Kalbfleisch würzen soll, kommt von der eigenen Terrasse. „Dort habe ich einen ganzen Küchenkräutergarten und noch einiges mehr. Sogar eine Bayerische Feige hab ich durch den Winter gebracht, heuer konnte ich sommers jeden Tag frische Feigen ernten.“ Seit sie sich vom Schreiben dem Filmen zugewandt hat, bleibt ihr wieder etwas mehr Zeit für solche Extravaganzen. Für eine ernst­hafte Beschäftigung mit ihrem großen vernachlässigten Hobby, dem Golfspiel, sind die Tage aber immer noch nicht lang genug. „Ich fürchte, ohne ernsthaftes Training werde ich von meinem Handicap 36 nicht herunterkommen.“ Später einmal vielleicht. Einstweilen hält sie sich im Fitnessstudio auf Trab, das wirkt besser und geht schneller. Die eine oder andere Stunde fürs Shopping sollte sich ja auch noch ausgehen, man findet nicht auf Anhieb solche Teile wie das heidelbeerfarbene Kleid von Miu Miu, das sie an diesem Nachmittag trägt. Ist Mode ebenfalls eine persönliche Leidenschaft? Ein strafender Blick verurteilt diese Frage als Fauxpas. Nadia Weiss nimmt noch einmal einen Schluck vom steirischen Sauvignon blanc und antwortet mit einem Zitat von Yves Saint-Laurent: „Moden vergehen, Stil ist von Dauer.“