Sind wir nicht alle mit diesem Gesicht auf dem Bildschirm groß geworden? Seit 30 Jahren ist Vera das quirlige „Tritsch Tratsch“-Girl, die kesse „Okay“-Moderatorin, die große Schwester auf der Plauder-Couch, die Quoten-Queen. Und sie läuft und läuft…

Gesundheitsministerin könnte sie heute sein, wenn sie damals nur gewollt hätte. Im Sommer 2006 erhielt Vera Russwurm ­dieses verlockende Angebot von Wolfgang Schüs­sel, zu jener Zeit noch Bundeskanzler und ÖVP-Obmann: Erst ein paar Monate Wahlkampf, dann nach geschlagener Schlacht die Ressortverantwortung über Ärzte, Apo­theken und Krankenkassen. Vera lehnte ab, aber erst nach längerem Zögern: „Die Versuchung war schon sehr reizvoll. Es hat auch immer wieder Momente gegeben, wo ich mir gedacht habe, ich hätt’s doch machen sollen. Aber unterm Strich bin ich froh, dass ich mir das erspart habe.“ Vor allem hätte sie sich dann um ein recht ungewöhnliches Jubiläum gebracht, das jetzt vor der Tür steht: 30 Jahre ohne Unterbrechung auf dem Bildschirm. Es war nämlich anno 1979, als die blutjunge Medizinstudentin Vera Russwurm in der Zeitung las, dass ­eine Assistentin für eine neue TV-Sendung namens „Tritsch Tratsch“ gesucht wird. Sie bewarb sich – und wurde zum quirligen „Tritsch Tratsch“-Mädchen, das gelegentlich dem legendären Talkmaster Josef „Joki“ Kirschner („Geld macht glücklich, wenn man rechtzeitig drauf schaut, dass man’s hat, wenn man’s braucht“) die Show stahl. Der Rest ist gewissermaßen Fernsehgeschichte: Auf die Sendung mit dem „Ladlspiel“ und den vernünftigen Ratschlägen für ein glückliches Leben folgte die Jugend-Plaudersendung „Okay“, bei der Vera ihren späteren Ehemann Peter Hofbauer kennenlernte. Von da holte man sie zu Formaten wie „Hallo Fernsehen“, „Was wäre wenn“ und „Familienfest“. Dann saß sie im Team der deutschen Ratesendung „Ja oder Nein“, die Joachim Fuchsberger moderierte. Ab 1993 schlichtete Russwurm lustvoll ausgetragene Streitereien in „Duell“ und kreierte 1995 mit „Vera“ die bisher erfolgreichste Talkshow des ORF, die zehn Jahre lang regelmäßig Quotenrekorde einfuhr. 2002 bis 2005 zog sie es vor, auch noch die Sommerpause durchzuarbeiten und präsentierte jeweils im Juli und August gewöhnliche Menschen mit gar nicht alltäglichen Problemen in „Schicksalstag“. 2006 versuchte sich Vera Russwurm mit dem Gesundheitsmagazin „Primavera“ und musste dabei erstmals Rückschläge hinnehmen – die Sendung wurde 2007 wieder abgesetzt, worauf die ehemalige Quoten-Queen zum Konzept einer breitangelegten People-Sendung zurückkehrte. „Vera exklusiv“ mit seiner Mischung aus Promis, packenden Persönlichkeiten und einfachen Leuten läuft seither mit großem Erfolg.

„Tritsch Tratsch“ machte Vera populär, „Okay“ festigte ihren Stand als „Traumfrau der Jugend“ (ein Titel, den ihr tatsächlich einmal ein Publikumsvoting einbrachte). Klar dass sie mit diesem Bekanntheitsprofil bald auch als Gast durch viele andere Sendungen geschleust wurde, weil man auch dort etwas mehr an jugendlichem Schwung brauchen konnte, wenigstens für einen Abend. Eine davon war das Quiz „Dalli Dalli“ – heute nos­talgischer Hit unter der „Wickie, Slime & Paiper“-Generation. Russwurms Mitstreiter war ein hoffnungsvoller deutscher Nachwuchsmoderator namens Günther Jauch. Eine Traumpaarung, vor allem in jener Disziplin, wo in zehn Sekunden möglichst viele Begriffe zu einem bestimmten Thema aufgesagt werden mussten: Gemeinsam stellten Vera und Günther nie wieder einholbare Schnellsprechrekorde auf. „Der Jauch war schon damals furchtbar ehrgeizig“, erinnert sich die Quizpartnerin, „am Tag vor der Sendung wollt ich nach der Probe abends ein wenig ausgehen, aber er hat darauf bestanden, dass wir im Hotel bleiben und trainieren. Dann ist er mit mir den Gang auf und ab gegangen und wir haben das Spiel mit allen möglichen Begriffen immer wieder durchgespielt.“ Videoaufzeichnungen von diesen frühen Auftritten hat Vera keine, „ich besaß nie so etwas wie einen Rekorder, mit dem hätte ich damals auch gar nicht umgehen können“. Aber sollte sie doch irgendwann von der Neugierde über die wilden achtziger Jahre übermannt werden, müsste sie nur die richtigen Suchbegriffe bei YouTube eingeben: Dort ist Vera bereits Kult. Dreißig Jahre auf dem Bildschirm – das hat schließlich in Österreich sonst nur Peter Rapp geschafft. Für eine ganze Generation ist das Gesicht mit dem charakteristischen Muttermal zum vertrauten Begleiter des abendlichen Absackens auf der Couch geworden. Heute trinken bereits die Enkel der ehemaligen „Tritsch Tratsch“-Seher ihren Gute-Nacht-Tee zu „Vera exklusiv“. „Eigentlich furchtbar, wenn man es so betrachtet“, schüttelt die dreifache Mutter den Kopf, „das macht einen doch alt.“ Aber auch das Alter ist heutzutage etwas Relatives: „Viele Jahre hinter sich zu haben und dabei geistig jung zu sein, das ist eigentlich das Schönste. Man hat schon viel erreicht, auf das man stolz ist, bleibt aber trotzdem auf die Zukunft gerichtet und hat noch viel vor.“ Immerhin hat Vera zehn Jahre nach ihrer ersten Inskription auch das Medizinstudium fertiggemacht, trotz einer bereits steil nach oben gehenden Medienkarriere. Ein Umstieg auf den Arztberuf kam da nicht mehr in Frage: „Obwohl ich das auch wirklich gern gemacht hätte. Es hat sich eben anders ergeben – aber das Studium habe ich, trotz aller Verzögerungen, immer ernsthaft betrieben.“ Sie ist bis heute überzeugt, dass die Zweigleisigkeit, das Hin- und Her zwischen der Welt der Medien und der Med-Uni, ein unbeabsichtigter Erfolgsfaktor in ihrer Karriere war: „Ich habe wahrscheinlich sehr souverän gewirkt, weil ich da und dort immer sehr ­entspannt an die Dinge herangehen konnte. Wenn ich zu einer Prüfung nicht rechtzeitig antrat, habe ich mir gedacht, macht ja nichts, ich hab eh einstweilen den Job beim Fern­sehen. Umgekehrt habe ich mich beim Fernsehen nie in irgendwas verbissen, weil ich ­immer im Kopf hatte, eigentlich will ich ja studieren.“ Deswegen gab es auch nie echte Karrie­replanung. „Ich habe einfach immer das gemacht, was grad naheliegend war. Dass ich beim Moderieren gut ankomme, war ja nach den ersten Jahren irgendwie klar. Aber trotzdem musste ich bei allen neuen Formaten ein Casting durchlaufen, da gab es keine Automatik.“ Vera bestreitet auch heftig, weiter als bis zum nächsten Jahr in die Zukunft zu schauen. Die Dinge werden eben weiterlaufen.

„Das Reden mit interessanten Menschen wird mir nie fad.“
Vera Russwurm

„Vera“ ist zur Trademark geworden, da wissen die Zuschauer, was sie kriegen, von den herzergreifenden Geschichten über die praktischen Tipps bis zum vertrauten Muttermal. Ihr selbst wird das „Reden mit interessanten Menschen“ sowieso nie fad: „Wenn man sich ein bisschen auf die Persönlichkeiten einlässt, stößt man schnell auf faszinierende Facetten.“ In „Vera“, erinnert sich die Moderatorin, war einmal eine Dame mit dem würdigen Alter von 107 Jahren zu Gast, angekündigt als „die älteste Frau Österreichs“. „Woher wissen Sie denn das?“, fragte die Besucherin vor laufender Kamera. Darauf Vera: „Wir haben das genau recherchiert, es stimmt sicher.“ Die Dame: „Na so was, da hab ich’s ja direkt noch zu etwas gebracht.“ Die Regie reichte ihr ein Glas Sekt, das sie mit verschmitztem Lächeln in einem Zug austrank. Vielleicht ist die Szene bald in einem Zusammenschnitt wieder zu sehen – denn 2009 steht unvermeidlich der große Nostalgie-Rummel bevor, den so ein Jubilä­um eben mit sich bringt. Da wird es auch spannend sein, noch einmal zu sehen, wie die freche Girlie-Schnauze heute wirkt – ihretwegen wurde vor dreißig Jahren die Jungstudentin ins Fernsehen geholt, damals erregte die adoleszente Un­bekümmertheit noch Aufsehen zwischen all den Herren in den grauen Anzügen. Doch die Grünschnäbel der siebziger Jahre haben ihre imperative Jugend mit ins reifere Alter genommen, mit dem Effekt, dass die Fünfzigjährigen des 21. Jahrhunderts so jung wirken wie die Mittdreißiger einige Jahrzehnte davor. Das liegt an der sportlichen Lebensweise, an der Haltung, innerlich jung bleiben zu wollen, findet Vera – aber auch am medizinischen Fortschritt, der das Altern immer wei­ter hinauszögert: „Als ich ein Kind war, galten Frauen, die mit 30 schwanger wurden, als ,alte Mütter‘. Heute ist es völlig normal, dass man die Entscheidung, ob man überhaupt Kinder will, bis 35 aufschiebt, und Erstgebärende mit 40 sind keine Seltenheit.“ Selber hat sie mit Familie und Nachwuchs natürlich nicht so lange gewartet. Vera Russwurm ist seit 24 Jahren mit Peter Hofbauer verheiratet, dem Intendanten der Wiener Veranstaltungsbühne Metropol, der mit seiner Filmfirma Hofpower überdies die meisten Sendungen der Ehefrau produziert. Die ältes­te Tochter Yara zählt inzwischen 19 Lenze und belegt an der Uni Wien das selbstbewuss­te Doppelstudium Jus und Theaterwissenschaften. Florentina-Margerita, die mittlere, ist mit 16 gerade „der ärgsten Pubertät entwachsen, ich merke, dass die täglichen Dis­kussionen um tausende Kleinigkeiten seltener werden“. Dafür nähert sich das Küken Anabel-Victoria mit aufgeschossenen zwölf dem kritischen Alter. Denn: „Die Älteren hatten ihre schwierigs­te Phase mit etwa 13. Da mussten sie sich unbedingt jeden Tag ganz wild für die Schule herrichten, mit schwarz lackierten Fingernägeln und Lippenstift. Da hab ich schon mehrmals heftig durchgeatmet. Den Vater hat das überhaupt enorm aufgeregt. Mir war zum Glück bald klar, dass das bald vorübergeht. Und tatsächlich, kaum kamen sie ins Oberstufenalter, war’s wieder aus damit.“ Die Grenze ihrer Toleranz musste die Mutter zum Glück nie austesten: „Tätowieren hätte mich vermutlich gestört, weil es irreversibel ist. Das hat aber ohnehin keine gewollt.“ Voller Stolz fügt sie hinzu: „Ich bin mitunter selbst beeindruckt, wie vernünftig die sich entwickeln. Die beiden Größeren waren auch schon einmal für eine Zeit im Ausland, das weitet den Horizont und bringt soziale Kompetenz.“ Und ein bisschen scheint auch die Bühnen- und Bildschirmleidenschaft der beiden Eltern auf die Töchter überzugreifen: Yara moderierte bis 2004 „Confetti News“ in der gleichnamigen Kindernachmittagsleiste. Florentina spielte einmal eine Juniordetektivin in der Sendung „Tom Turbo“.

Wächst hier am Ende „Vera – the next generation“ heran? „Keine Spur“, winkt die Mama ab, „das hat ihnen damals Spaß gemacht, und damit hat sich’s. Derzeit schaut’s überhaupt nicht so aus, als würde eine von ihnen ins Fernsehen wollen.“ Allerdings kann sich so was auch bei einer 19-jährigen angehenden Juristin wieder rasch ändern. Wohin die 16-jährige Florentina strebt, steht ohnehin noch in den Sternen. Dort soll sie auch bleiben, die unbekannte Zukunft, findet Frau Dr. med. Russwurm, die sich gern auf die Gegenwart konzentriert und ungern allzu weit in die Ferne blickt. Außerdem hat der Star zu den Sternen ein reichlich kompliziertes Verhältnis: Um Tierkreiszeichen und astrologische Vorhersagen macht Vera einen weiten Bogen, sie will gar nicht wissen, welchen Einfluss Planetenbahnen und Aszendenten auf ihr Leben haben. Andererseits akzeptiert sie die Sterndeuterei „als Disziplin, mit der sich Menschen seit Jahrtausenden in allen Kulturen beschäftigen – da muss sich einfach eine Menge Wissen angesammelt haben.“ Aber sie vermeidet es unter allen Umständen, für sich selbst ein Horoskop legen zu lassen. „Manchmal kriege ich ungefragt welche zugeschickt, weil man ja auf der ORF-Website nachlesen kann, wann ich geboren bin (Anmerkung: am 7. November, im Zeichen des Skorpions). Die lese ich nie. Ich ­habe Sorge, dass ich mich davon beeinflus­-sen lasse. Irgendwelche Dinge, die da drin stehen, bleiben dann picken und bringen mich durcheinander. Ich will die Zukunft gar nicht wissen.“ Ohnehin kann niemand prophezeien, ob und wann sich der große, bisher unerfüllte Traum der Vera Russwurm verwirklicht, nämlich – einmal einen Tag lang wirklich nichts zu tun. „Derzeit habe ich dank meiner Töchter auch in der Freizeit und am Wochenende dauernd Action.“ Das lebhafte Treiben kommt zwar dem Naturell der Mama durchaus entgegen – aber einmal, nur ein einziges Mal hätte sie’s eben gern anders: „Ich möchte aufwachen und einfach im Bett bleiben. Dann stell ich mir vor, dass die Familie aufsteht, ihren Tätigkeiten nachgeht, und ich bleib liegen, lasse die Stunden vergehen, lese ein bisschen. Zu Mittag würde ich mich dann aufraffen – falls die Sonne scheint …“