Der reichste Mann Spaniens trägt alte Jeans, hasst Krawatten und ist doch seit fast 60 Jahren im Textilbusiness tätig: Heute erobert er mit der Modekette Zara im Eiltempo die Welt.

Das letzte Jahr hat Amancio Ortega Gaona ganz schön hart hergenommen. Im Dezember 2007 waren die Aktien seiner Firma Inditex je Stück noch fast 50 Euro wert gewesen. Mitte Jänner notierten sie nur noch bei 32 Euro. Über Weihnachten hatte der 72-jährige Spanier 6,2 Milliarden Euro verloren. Er nahm es gelassen. Nicht nur, weil er auch danach noch mit Abstand der reichste Mann auf der Iberischen Halbinsel bleibt und in der Forbes-Liste des Geldadels lediglich von Platz acht um ein paar Ränge zurückfiel. Amancio Ortega hält nichts von Pressekonferenzen, nichts von öffentlichen Auftritten. Am Tag nach dem Absturz trank er wie immer einen kräftigen Morgenkaffee in der Kantine seiner Firmenzentrale in La Coruña, Nordspanien, und stieg dann die Treppen in die Designabteilung hinauf, mischte sich in seinen etwas abgetragenen Jeans und seinem aufgekrempelten weißen Hemd unter die jungen Modezeichnerinnen, um sich über aktuelle Designs und die Stoffmuster der kommenden Saison zu unterhalten. Denn Inditex, mit vollem Namen Industria de Diseño Textil, ist nichts anderes als die Mutter der Modekette Zara, die mit über 3.700 Filialen zu den drei größten Textilketten der Welt gehört. Die anderen beiden sind Gap und H&M – wer von ihnen jeweils vorne liegt, ist nicht immer ganz klar, denn alle drei expandieren in einem Tempo, mit dem die Rankingstatistiker nur schwer Schritt halten können. Das rasche Wachstum war auch der Grund, weshalb Ortega sein Firmenimperium überhaupt an die Börse brachte. Allein bei Zara werden jedes Jahr im Schnitt 400 bis 600 neue Filialen eröffnet, dazu kommen andere Inditex-Marken, die zum Teil ebenfalls eigene Stores betreiben, wie Massimo Dutti, Pull & Bear, Bershka, Stradivarius, Oysho und seit kurzem die Möbelkette Zara Home. Um diesen Expansionskurs zu finanzieren, holte sich Ortega 2001 rund 6 Milliarden Euro, indem er 31 Prozent von Inditex an die Madrider Börse brachte, verbunden mit einer gleichzeitigen Kapitalerhöhung. Von 2004 bis 2007 wurden die Anleger auch mit satten Renditen belohnt, vor allem die Früheinsteiger, die 2001 das Papier zu 15 Euro zeichneten und daher selbst nach der schmerzhaften Kurskorrektur noch ganz ordentlich dastehen. Zudem sehen die Analysten inzwischen wieder Kursfantasie für die Kleider-Aktie denn die Expansion geht ungebremst weiter. Nur den Aktionären zuliebe ließ sich Ortega 2001 auch zum ersten Mal in seinem Leben für die Zeitung fotografieren. Es ist eines der wenigen Bilder, die von ihm existieren.

Gerade die scheinbaren Marotten des exzentrischen Spaniers sind es, die letztlich den Erfolg von Zara erklären. Die Bekleidungskette, inzwischen eine der bekanntesten Marken der Welt, kommt völlig ohne Werbung aus, es gibt keine Plakate, keine Spots, keine bunten Prospekte, keine PR-Events. Inditex hat nicht einmal eine Marketingabteilung. Zara muss keine Trends kreieren und durchsetzen, hergestellt wird, was die Massen wünschen. Anstelle von Marktforschung werden die Umsätze in jeder einzelnen Filiale genau analysiert. Was sich nicht verkauft, verschwindet wieder. Kein Stück darf länger als vier Wochen im Laden hängen. Die Designerteams orientieren sich am gerade aktuellen Modegeschmack. Weniger höflich ausgedrückt: Sie kopieren, was immer ihnen an interessanten Ideen unterkommt. Was zeigen Prada, Chanel und Co auf ihren Modeschauen? Wie sehen die Prêt-à-porter-Kollektionen von Dolce & Gabbana oder John Galliano aus? Was tragen Paris Hilton, Katie Holmes, Penélope Cruz auf ihren jüngsten Paparazzi-Fotos?

Nachgeschneidert wird dann in schwindelerregender Eile – zwei Wochen genügen von der (geklauten) Idee bis zur fertigen Produktlinie. Bis die teuren Originalstücke in den schicken Boutiquen von Madrid bis Moskau ankommen, hängen nebenan im Zara-Store meist schon Kleider, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sehen. Nur dass sie eben 35 statt 1.500 Euro kosten. Die großen Modedesigner lassen regelmäßig verärgerte Tiraden gegen die Abkupfer-Industrie los. Insgeheim sind sie jedoch nicht sicher, ob sie nicht davon profitieren, wenn Tausende Jugendliche als wandelnde Werbeträger durch die Städte ziehen, gekleidet in Entwürfe, deren Originale weit jenseits ihrer Kaufkraft liegen, die aber als Imitat zum Kult wurden. Andererseits nehmen ihnen Zara, H&M und die anderen gewiss auch Umsatz weg, denn auch Victoria Beckham, Lindsay Lohan oder die Prinzessin von Schweden wurden schon mit Einkauftstaschen der Billigketten gesichtet. Zu stoppen ist der Trend aber ohnehin nicht. Als Pop-Oldie Madonna vor einigen Jahren ihre Welttournee in Barcelona startete, machte sie mit einem der vielen Bühnenoutfits Schlagzeilen. Nur ein paar Konzerte später konnten die Fans selber anziehen, was der Star oben im Scheinwerferlicht trug. Derartige Komplimente erfährt regelmäßig auch die spanische Kronprinzessin Letizia: Kaum jubeln die Societyblätter über ihren Hosenanzug oder ihr zartes Sommerkleidchen, findet sich ein ähnliches Modell nur drei Wochen später auf den Zara-Wühltischen. Die Konkurrenten H&M und Gap arbeiten zwar nach dem gleichen Prinzip, doch in Schnelligkeit und Konsequenz ist ihnen die Mannschaft von Ortega weit überlegen. Das liegt unter anderem daran, dass Ortega nicht in Ostasien produzieren lässt, sondern daheim im nordspanischen Galicien. Das erhöht zwar die Produktionskosten, beschleunigt aber die Lieferzeiten. Innerhalb von 24 Stunden kann jede europäische Filiale vom Logistikzentrum in La Coruña aus per Lkw angefahren werden – so lange brauchen Textilien aus China allein schon, um durch den Zoll zu kommen. Zur Schnelligkeit kommt eine High-Tech-Logistik von gnadenloser Konsequenz. Jeder Laden wird zweimal in der Woche neu beliefert. Entwürfe, die sich schlecht verkaufen, werden dabei gleich abtransportiert und nicht selten in andere Filialen verlagert, weil zum Beispiel in Dänemark noch die tiefausgeschnittenen Blusen im Raubtierlook gefragt sind, während in Italien bereits alles nach den neuen, knallbunten Minikleidern giert.

Wenn in den hellen, von Glas umgebenen Büros der Inditex-Firmenzentrale solche Entscheidungen fallen, mischt der alte Gründerchef tatkräftig mit. Im Grunde seines Herzens ist er vor allem Verkäufer, einer, dem es darauf ankommt, rasch bei den Kunden zu sein und ihnen zu geben, was sie wollen. So beschreiben jedenfalls die spanischen Journalisten Xavier Blanco und Jesus Salgado den Milliardär in ihrem Buch „De cero a Zara“ („Von Null auf Zara“), für das sie Dutzende Bekannte und Mitarbeiter Ortegas interviewten, denn er selber verweigerte konsequent jeden Kontakt. Immerhin erfuhren sie so, dass Ortega seinen ersten Laden eigentlich „Zorba“ nennen wollte, nach dem rebellischen Griechen Alexis Sorbas: „Aber der Name war schon vergeben, deshalb habe ich mich spontan für Zara entschieden.“ Das war 1975. Das Geschäft stand in der Innenstadt von La Coruña, nicht weit von jenem Textilhaus, wo Ortega 1950 als Hilfsarbeiter angefangen hatte. In den 1960er-Jahren konnte er sich mithilfe seiner Frau selbständig machen, stellte Bademäntel und Unterkleider her und belieferte sogar die spanische Kaufhauskette El Corte Inglés. 1972 fasste er seine Schneidereien in der Firma Confecciones GOA zusammen – Ortega konnte also bereits auf einer eingespielten eigenen Textilproduktion aufbauen, als er mit der Expansion im Handel begann. Heute sitzt der unermüdliche Unternehmer zwar an der Spitze eines Weltkonzerns, persönlich ist er aber der sesshafte, knorrige Nordspanier geblieben. Er wohnt immer noch in der Altstadt von La Coruña, direkt am Meer, wo er dank seiner sturen Medienscheu völlig unerkannt und unbelästigt herumspazieren kann und niemand auf die Idee kommt, dass der rundliche alte Herr mit den dicken Oberarmen 24 Milliarden Euro auf dem Bankkonto haben könnte.

 

Ortega ist zum zweiten Mal verheiratet. Die erste Ehe mit Rosalía Mera ging Mitte der 1980er-Jahre in Brüche, Tochter Sandra lebt inzwischen ihr Leben abseits des Textilbusiness. Sohn Marcos kam mit einer schweren Behinderung zu Welt, weshalb der Vater die Stiftung Padeia ins Leben rief, die Jugendlichen mit Handicap hilft. Sie wird von Rosalía Mera gemanagt. Die zweite Frau Flora Pérez Marcote lernte Ortega in einer seiner Fabriken kennen und lieben und gab ihr 1986 das Jawort – da hatten sie aber schon drei Jahre lang eine gemeinsame Tochter Marta. Der Spross gilt heute schon als reichste Erbin Spaniens, auch wenn sie sich das Vermögen mit Sandra und Marcos wird teilen müssen.Zu diesem Familienbesitz gehört eine lange Liste luxuriöser Immobilien, darunter ein ganzes Haus an den Champs Élysées in Paris, ein Hotelkomplex in Miami, Apartments in London und Lissabon. Die werden prachtvoll in Schuss gehalten, sie steigen gewiss auch im Wert. Nur hinfahren und dort Zeit verbringen, dazu kann sich der Firmenpatriarch nicht aufraffen. Reisen liegen ihm gar nicht, schon in Madrid fühlt er sich nicht mehr wohl; und man sagt, dass er nur zweimal in seinem Leben Krawatten getragen hat: einmal beim Besuch des spanischen Kronprinzen Felipe in der Firmenzentrale, das zweite Mal vor vielen Jahren bei der Hochzeit von Sandra. Die hatte sich das ausdrücklich gewünscht. Denn seinen Töchtern kann „Señor Zara“ keinen Wunsch abschlagen. Marta, die jüngere, interessierte sich einige Jahre lang für Pferde, wie viele andere Teenager auch. Nur ließ der Papa, dem sonst Luxus und Verschwendung völlig fremd sind, extra für sie in Arteixo, unweit der Firmenzentrale, ein Hippodrom erbauen, komplett mit Galopprennbahn und Springparcours, so geschickt ins Gelände eingebettet, dass es von außen nicht einzusehen ist. Die Pferdemanie war nicht von Dauer. Inzwischen interessiert sich die 24-Jährige schon mehr für das Textilgeschäft, hat Ferienjobs in Zara-Filialen absolviert und ist ins Management eingestiegen. Gerüchte wollen wissen, dass sie irgendwann das Steuern von ihrem Vater übernehmen soll. Dann hat der alte Mann aus Galicien endlich Zeit, sich einem viel zu lang vernachlässigten Hobby zu widmen: Ortega ist leidenschaftlicher Anhänger seines Fußballklubs Deportivo de La Coruña.