Liliane Bettencourt könnte sich eigentlich beruhigt zurücklehnen – immerhin ist sie die reichste Frau Frankreichs und kontrolliert den Kosmetikkonzern L’Oréal. Doch was in Reihenhaussiedlungen vorkommt, kann sich auch in Pariser Luxusvillen ereignen: Lilianes Tochter hat Angst um ihr Erbe und geht vor Gericht.

Es gibt Leute, denen nicht nur ihre eigene Vergangenheit ins Gesicht geschrieben steht, sondern auch gleich die der ganzen Familie. So wie die Damen, de­ren skandalträchtiger Streit in Paris gerichtsanhängig wurde. Die eine Kon­trahentin – von den wie üblich objektiven Medien nur als „Greisin“ tituliert – ist eine ge­pflegte Dame im 88. Lebensjahr und die reichste Frau Frankreichs; die andere ist ihre Tochter und sieht auf Zeitschriftenfotos zwar jünger, aber nicht viel fröhlicher aus als die Frau Mama. Und bei beiden bewahrheitet sich ganz offensichtlich die alte Volks­weisheit der armen Leute, dass Geld nicht glücklich macht: verkniffene Münder, kalte Augen und eine Pose, die nicht wenig Ar­roganz verrät. Andererseits: Die Mutter, Liliane Bet­ten­court, kann es sich mit einem geschätzten Vermögen von 9,1 Milliarden Euro schon leisten, verächtlich auf das gemeine Volk herunterzuschauen. In der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt rangiert sie derzeit auf Platz 21, und in ihrer Heimat ist nur Ber­nard Arnault, Herrscher über das Luxus­unter­nehmen LVMH (Louis Vuitton, Gi­ven­chy, Moèt Hennessy u. v. a.), noch reicher als sie. Da kann man sich schon eine zweifelhafte familiäre Vergangenheit und ein paar ebenso peinliche wie öffentlich ausgetragene Affären leisten…

Das Erbe

1907 ließ Liliane Bettencourts Vater Eu­géne Schueller das erste synthetische Haarfärbemittel patentieren – und gab ihm den Namen „Auréale“, benannt nach einer da­mals modernen Frisur, die wie ein Heili­gen­schein um den Kopf lag. Zwei Jahre später gründete er sein Unternehmen, die „Société Française de Teintures Inoffensives pour Cheveux“ (Französische Gesellschaft für nichtaggressive Haarfärbungen), aus der sich später das L’Oréal-Imperium entwickelte. Heute vereint der Konzern 26 Marken unter seinem Namen und ist mit mehr als 67.000 Mitarbeitern in 130 Ländern tätig. Wichtigste Anteilseignerin ist Liliane Bettencourt (mit 30,8 %); als zweitgrößter Gesellschafter (29,6 %) hat Nestlé, der größte Lebensmittelkonzern der Welt, auch hier die Finger mit im Spiel. Zu den bekanntesten L’Oréal-Produkten zählen neben den Haarfarben die Sonnenschutzmarke Ambre Solaire, Elvital-Haarpflege­produkte, Revitalift-Antifaltencremes, Co­lor-Riche-Lippenstifte, Elnett-Haarsprays und die Pure Color-Make-up-Serie. All das wird seit 1971 mit dem Slogan „Weil ich es mir wert bin“ (später in: „Weil Sie es sich wert sind!“ geändert) an die Frau gebracht. Für die Werbekampagnen der Firma werden die schönsten und teuersten Stars der Model- und Filmbranche engagiert: über Cindy Crawford, Claudia Schiffer, Jennifer Aniston bis hin zur rassigen Penélope Cruz.

Die bekannten Gesichter sorgen für stetig steigende Umsatzzahlen. 2008 konnte die Beauty-Fabrik 17,5 Milliarden Euro umsetzen und ist damit Weltmarktführer. Die Zahlen für das vergangene Jahr sind noch nicht bekannt – durch den fortschreitenden Einbruch im Luxussegment hat L’Oréal im dritten Quartal 2009 allerdings ein wenig verloren. Andererseits belief sich der Gewinn vor Steuern bereits 2006 auf 2,5 Milliarden Euro – und die Aktie liegt weiterhin gut im Rennen. Firmengründer Eugéne Schueller war in der Anfangszeit seines kommerziellen Er­folgs aber nicht nur im Dienste der Schön­heit aktiv, sondern auch in der Politik: Er unterstützte die antikommunistische „Orga­ni­sation secréte d’action révolutionnaire nationale“ (Nationalrevolutionärer Geheim­bund; von der französischen Presse auch „La Cagoule“ – „Die Maske“ genannt) nicht nur finanziell, sondern ließ den Verein angeblich auch Treffen in den Firmenräumlichkeiten von L’Oréal abhalten. Die Gruppierung existierte von 1935 bis 1937 und wurde nach einem gescheiterten Putschversuch von den Behörden aufgelöst. Nach dem Zweiten Welt­krieg erhielten mehrere Ex-Mitglieder der Organisation Führungspositionen bei L’Oréal. Der spätere französische Staats­prä­sident François Mitterand und André Bet­tencourt – ein weiterer Sympathisant – entlasteten Schueller in der Nachkriegszeit je­doch von allen Vorwürfen, indem sie be­haup­­teten, er sei im Widerstand aktiv gewesen. Nach Schuellers Tod im Jahre 1957 erbte seine Tochter Liliane das Unternehmen beziehungsweise die Kontrolle über dessen Aktienmehrheit und machte daraus das größte Kosmetikimperium der Welt. Zu diesem Zeitpunkt war sie seit sieben Jahren mit besagtem Monsieur Bettencourt verheiratet, der im besetzten Frankreich Artikel für eine von den Nazis finanzierte Zeitung verfasst hatte. Den Antifaschisten ließen solche „Zufälle“ keine Ruhe: Sie nahmen den Konzern aufs Korn und erwirkten 2007 eine Verurteilung wegen rassistischer Diskriminierung, weil L’Oréal für seine Kampagnen keine dunkelhäutigen Modelle einsetzte. Man kann’s auch übertreiben…

Die Erbschleicher

Ob rechts oder links, die Pariser Sei­ten­blicke-Gesellschaft befindet sich 2009 in heller Aufregung: Françoise Bettencourt-Mey­ers (56), das einzige Kind der Mil­liar­därin, will ihre Mutter entmündigen lassen – die alte Dame sei nicht mehr zurechnungs­fähig. Hinter dem Skandal steckt Lilianes Freundschaft mit dem 62-jährigen Fotogra­fen und Dandy François-Marie Banier, den sie bereits 1987 kennengelernt hat, als er sie für die Zeitschrift Egoiste knipste. Laut der besorgten Tochter und Allein­erbin habe der Kerl schamlos ausgenützt, dass die Mutter nicht mehr im Vollbesitz ih­rer geistigen Kräfte sei, und sie um fast eine Milliarde Euro in Bargeld, Schmuck, Schecks, Kunstwerken und sogar Versiche­rungspolizzen erleichtert. Von einer Affäre zwischen den beiden war in der Klageschrift übrigens nie die Rede: Banier ist eingestandenermaßen schwul; er soll die rüstige Lady einzig und allein mit seinem nicht unbeträchtlichen Charme und ein paar Ein­schüch­terungen so gekonnt übervorteilt ha­ben. Und Françoise, die kurz nach dem Tod ihres Vaters im Jahre 2007 die ersten juristischen Schritte setzt, ist selbstverständlich nur daran interessiert, ihre Mutter und de­ren Vermögen zu schützen. Anfangs verweigert Liliane Bettencourt empört ein Gutachten über ihren Geisteszu­stand. „Meine Tochter ist nur eifersüchtig“, sagt sie. „Sie sollte schön langsam begreifen, dass ich ein freier Mensch bin.“

Kurz nachdem ein Richter im Dezember 2009 die Ent­mündigungsklage abgewiesen hat, fordert ein anderes Gericht in Nanterre bei Paris aber eine medizinische Beurteilung der mütterlichen Zurechnungsfähigkeit an. Die liebe Tochter verklagt einstweilen noch schnell den Charmeur: Banier, der als Promifotograf selbst weltbekannt und wohlhabend ist, soll die senile Freigiebigkeit ihrer Mutter ausgenützt haben und dafür gefälligst hinter Gitter kommen. Die Entscheidung dürfte im April dieses Jahres fallen – bis dahin werden dem Ge­richt in Nanterre drei ärztliche Gutachten vor­liegen. Liliane Bettencourt behauptet al­lerdings, ihrem Günstling all das schöne Geld aus freien Stücken geschenkt zu haben. „Françoise ist sehr verschlossen und fühlt sich von Baniers Extrovertiertheit einfach überfordert“, gibt sie als Grund dafür an, dass die schmutzige Wäsche der Dynastie in aller Öffentlichkeit gewaschen wird. François-Marie Banier, der gern mit prominenten Freunden wie Yves Saint Laurent und Johnny Depp prahlt, schlägt zurück: Er wirft Sir Lindsay Owen-Jones (63) – dem Engländer, der 18 Jahre lang (bis 2006) Geschäftsführer und Vorstandschef von L’Oréal war und damit hauptverantwortlich für Liliane Bettencourts Reichtum ist – nun vor, seinerseits mindestens 90 Millionen Eu­ro als privates Geschenk von der Haupt­aktionärin des Unternehmens angenommen zu haben. Und das, obwohl der „erfolgreichste britische Geschäftsmann, von dem Sie nie gehört haben“, wie eine Londoner Zei­tung ihn einmal nannte, selbst eine Yacht in St. Tropez, einen Hubschrauber und eine wertvolle Ferrari-Sammlung besitzt…

Die Erbin

Die Schlammschlacht geht weiter: Wäh­rend Mutter und Tochter Betten­court im Aufsichtsrat von L’Oréal sitzen, aber seit Jahren so zerstritten sind, dass sie nicht mehr miteinander sprechen, schadet der Skandal möglicherweise dem Luxus­imperium, das im Zuge der Finanz­krise – wie viele Branchenkollegen – ohnehin leicht angeschlagen ist.

Vielleicht nützt die Publicity aber auch; immerhin gibt Liliane Bettencourt recht freizügige Inter­views: „Ich weiß nicht, was in Françoise ge­fah­ren ist“ erzählt sie in ihrem Palast im Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine. „Banier und mich verbindet seit zwei Jahrzehnten eine Freundschaft, und er hat mir nach dem Tod meines Mannes sehr geholfen. Aber die Geschichte, dass ich ihn adoptieren will, ist mehr als haltlos. Ich werde doch keinen Sohn adoptieren, der über sechzig ist!“ Einen berühmten Psychiater hat die Milliardärin und Mäzenin angeblich auch schon aufgesucht. „Er hat gesagt: alles in Ordnung“, berichtet Bettencourt. Wer wollte an ihren Worten zweifeln?

„Ein großes Vermögen kann man nicht versaufen, nicht verhuren, nicht verfressen;
man kann es nur verdummen.“
Johannes Fürst von Thurn und Taxis


Weil es was wert ist. Wer gehört zu L’Oréal?

L’Oréal Paris Hautpflege, Haarprodukte (u. a. Elvital), Make-up, Haarfarben, diverse Pflegepro­duk­te für Männer
Garnier Die 1904 von Alfred Amour Garnier gegründete Konkurrenz­marke, ebenfalls auf Haut- und Haarpflege spezialisiert, wurde 1965 von L’Oréal übernom­men und ausgebaut.
Lancôme Eine der führenden Luxusmarken für Parfums, Pflege und Make-up, ins Leben gerufen 1935 von Armand Petitjean, bereits 1964 von der Konkurrenz geschluckt.
Vichy Existiert seit 1931 und bietet seine medizinischen Hauptpflegeprodukte – für die aus­schließlich Wasser aus den heißen Quellen der französischen Stadt Vichy verwendet wird – nur in Apotheken an.
Helena Rubinstein Die fast 100 Jahre alte, heute auf Anti-Aging spezialisierte Luxusmarke gehört seit 1988 zum L’Oréal-Portfolio.
Giorgio Armani Der weltberühmte Modesigner bringt in einer Kooperation mit L’Oréal immer wieder Damen- und Herrendüfte auf den Markt: Sensi, Emporio Armani u. a.
Maybelline 1913 vom amerikanischen Chemiker T. L. Williams in New York gegründet, nachdem er die Wimperntusche Mascara erfunden hatte. In den 70er-Jahren kamen Make-up- und Nagellackprodukte dazu – und 1996 kaufte L’Oréal das Unternehmen.
Diesel Auch die Düfte im Jeans-Stil werden in Kooperation mit dem französischen Schön­heits-Multi produziert und vertrieben.
The Body Shop 2006 übernahm das Bettencourt-Empire auch den britischen Natur­kos­metik-Konzern. Die Marke soll aber weiterhin „alternativ“ und tierfreundlich bleiben.